Anerkennung für den Beruf
35. Deutscher Psychotherapeutentag würdigt die Reform der Psychotherapeutenausbildung
Der 35. Deutsche Psychotherapeutentag (DPT) am 16. November in Berlin war geprägt von der Erleichterung darüber, dass die Reform der Psychotherapeutenausbildung auch die letzten Hürden in Bundestag und Bundesrat genommen hatte. Weitere Themen waren der Klimawandel, die Digitalisierung des Gesundheitswesens und die Qualitätssicherung in der psychotherapeutischen Versorgung.
Klimawandel und Nachhaltigkeit
Der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), Dr. Dietrich Munz, ging eingangs des Berichts des Vorstandes auf das Thema Klimawandel ein. „Die physikalischen Realitäten sind, wie sie sind. Physikalische Realitäten sind nicht verhandelbar“, hielt Munz fest. Wie unsere Gesellschaft dem Klimawandel begegnen könne, dazu habe jedoch jeder seine ganz persönliche Meinung. Hierzu könne man sich als Privatperson, aber nicht als BPtK positionieren. Gemeinsame Aufgabe sei es allerdings, die Auswirkungen des Klimawandels insbesondere auf die psychische Gesundheit der Menschen zu thematisieren.
Globale Bedrohungen, auf die der Einzelne nur noch sehr begrenzt Einfluss nehmen kann, führten zu Ängsten und Verunsicherungen. Dies könne – wie andere externe Stressfaktoren auch – psychische Erkrankungen verursachen. Psychotherapeuten seien dann für ihre Patienten da – wohlwissend, dass die Gesellschaft für ökologische Ursachen oder Auslöser der Erkrankung politische Lösungen brauche. In diesem Zusammenhang warb BPtK-Präsident Munz für einen Antrag zur Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie für DPT und Bundeskammer, der mit großer Mehrheit angenommen wurde.
Mareike Schulze von Psychologists/Psychotherapists for Future berichtete ergänzend über die exponentiell ansteigenden Folgen der globalen Erwärmung. Eine bereits vor zehn Jahren von der amerikanischen Psychologenvereinigung APA eingesetzte Arbeitsgruppe habe auf die vielfältigen psychischen Folgen der Klimaveränderungen hingewiesen. Der Erhalt der Lebensgrundlagen und der psychischen Gesundheit sei nach § 1 Absatz 2 der Musterberufsordnung eine zentrale Aufgabe der Psychotherapeuten. Sie rufe die Psychotherapeutenschaft dazu auf, sich dafür öffentlich einzusetzen. Der DPT verabschiedete mit großer Mehrheit eine Resolution zu Klimaschutz und nachhaltigem Handeln.
Gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit
In seinem Bericht des Vorstands ging der BPtK-Präsident auch auf eine Kleine Anfrage der AfD im Bundestag ein mit dem Titel: Straftaten und Gefahrenpotenzial von psychisch kranken Flüchtlingen. Die Zielrichtung dieser Anfrage sei gleich im doppelten Sinne menschenfeindlich und bediene die Diskriminierung und Stigmatisierung von Flüchtlingen genauso wie von psychisch kranken Menschen.
Psychotherapie sei kaum vorstellbar in einer Gesellschaft, die die Rechte des Einzelnen nicht mehr garantieren könne oder wolle. Menschen, anhand welcher Kriterien auch immer zu bestimmten Gruppen zuzuordnen, um den anderen zu missachten und sich selbst überlegen zu fühlen, das sei rassistisch, antisemitisch, menschenfeindlich, sexistisch. Diese Mechanismen müssten beim Namen genannt werden, wann immer sie erkennbar werden. Denn dies könne der Anfang vom Ende der zivilen Gesellschaft sein. Die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sollten Stellung beziehen gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit, im Interesse ihrer Patientinnen und Patienten und der eigenen Profession. Der DPT unterstützte diese Position mit großem Applaus und in zahlreichen Redebeiträgen der Delegierten.
Reform der Psychotherapeutenausbildung verabschiedet
Mit der Reform der Psychotherapeutenausbildung sei die zentrale Forderung des 25. DPT 2014 in München Wirklichkeit geworden, erinnerte Munz. Dort hatte sich eine Zweidrittelmehrheit der Delegierten für eine Reform der Psychotherapeutenausbildung ausgesprochen, die eine Approbation nach einem wissenschaftlichen Hochschulstudium auf Masterniveau anstrebt. Der Gestaltungswille und die Kompromissbereitschaft der Profession nach innen und außen sei Voraussetzung für die erfolgreiche Reform gewesen, auf die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gemeinsam stolz sein könnten. Ab September 2020 wird sich der psychotherapeutische Nachwuchs im Studium für eine Approbation qualifizieren und sich danach in Berufstätigkeit für die Fachkunde weiterbilden können.
In vielen Wortbeiträgen würdigten auch die Delegierten die Ausbildungsreform als ein beeindruckendes Ergebnis der konstruktiven Zusammenarbeit von Kammern und Verbänden und der dabei erzielten Einigkeit in der Profession. Barbara Lubisch sah in der Verabschiedung des Gesetzes einen großen Erfolg, der die Anerkennung für unseren Beruf widerspiegele und eine ausgezeichnete Ausgangssituation für zukünftige Entwicklungen schaffe. Das Gesetz enthalte viele Regelungen, die dem Beruf zu Gute kommen werden, stimmte Georg Schäfer zu. Drei Punkte bereiteten ihm aber große Sorgen. Dies sei die Sicherstellung der Vielfalt der Psychotherapieverfahren im Studium, der Strukturqualität bei der Vermittlung der Verfahren und die Finanzierung der ambulanten Weiterbildung. Die in der bisherigen Ausbildung fehlende sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sei Geschichte, hoben die Delegierten in der Diskussion positiv hervor.
Auch die Bundeskonferenz der Psychotherapeuten in Ausbildung (PiA) begrüßte die Reform als riesigen Meilenstein für die Zukunft. Die heutigen PiA seien jedoch die Verlierer der Reform. Und dies, so betonte Mechthild Leidl für die Bundeskonferenz PiA, dürfe angesichts der Übergangszeit nicht fünfzehn Jahre lang so bleiben. Deshalb sei es wichtig, weiter für die notwendigen Verbesserungen zu kämpfen. Ziel müsse es sein, dass die heutigen PiA kein Schulgeld mehr zahlen müssten, eine angemessene Vergütung erhielten und rechtssicher geregelt werde, dass sie sich während der Ausbildung „Psychotherapeuten in Ausbildung“ nennen könnten. Da sich infolge der Reform in den Heilberufe- und Kammergesetzen Änderungsbedarf ergebe, biete dies auch die Chance, dass PiA in allen Psychotherapeutenkammern Mitglied werden könnten.
Projekt Musterweiterbildungsordnung läuft an
Der Berufsstand habe jetzt die Verantwortung für die Qualifizierung nach dem Studium, erklärte Munz. Die Musterweiterbildungsordnung (MWBO) schaffe Normen und Perspektiven für die künftigen Aufgaben in der Versorgung, zu denen auch Leitungsfunktionen, Koordinierungsaufgaben, neue Tätigkeitsfelder und neue Befugnisse gehörten. Die Herausforderung bestehe darin, eine MWBO zu entwickeln, die das breite Tätigkeitsspektrum der Profession berücksichtige und sich gleichzeitig auf das beschränke, was dafür zu regeln sei.
BPtK-Vorstand Michaela Willhauck-Fojkar erinnerte daran, dass die Profession bei der Weiterbildung nicht bei Null anfange. Im Projekt Transition seien in den vergangenen Jahren Grundstrukturen und Mindestanforderungen der Weiterbildung vereinbart worden, wie die Unterscheidung der Gebiete „Kinder und Jugendliche“ und „Erwachsene“. Dafür müssten nun die spezifischen Kompetenzziele und Mindestinhalte weiter konkretisiert werden. Willhauck-Fojkar empfahl, die Folgen der fehlenden finanziellen Förderung für die ambulante Weiterbildung gut zu dokumentieren, um die politische Forderung nach einer gesetzlich geregelten Förderung überzeugend begründen zu können.
BPtK-Vizepräsident Dr. Nikolaus Melcop erläuterte das Projekt „Reform der MWBO“. Die Präzisierung für die MWBO verlange eine enge Abstimmung mit den Landeskammern und den Berufs- und Fachverbänden in einem strukturierten Dialog. Am Ende solle es bundeseinheitliche Regelungen in den Weiterbildungsordnungen der Länder geben. Dafür bleibe nicht mehr viel Zeit, weil ab 2022 erste Absolventen nach einem Quereinstieg in das neue Masterstudium mit der Weiterbildung beginnen könnten. Der DPT stimmte mit großer Mehrheit dafür, die MWBO weiterzuentwickeln mit dem Ziel, sie auf dem DPT im Frühjahr 2021 zu beschließen. Der DPT verabschiedete mit großer Mehrheit die Resolution „Verfahrensvielfalt in der Psychotherapie absichern“.
G-BA-Auftrag für eine psychotherapeutische Komplexversorgung
BPtK-Präsident Munz ging auch auf die neuen sozialrechtlichen Regelungen zur Versorgung psychisch kranker Menschen mit komplexem Behandlungsbedarf ein. Dabei erinnerte er zunächst an die intensive Debatte, die parallel zur Ausbildungsreform mit CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn, mit dem SPD-Abgeordneten Prof. Dr. Karl Lauterbach und weiteren Mitgliedern des Deutschen Bundestages zu einer besseren ambulanten Versorgung von schwer psychisch kranken Menschen geführt worden sei. Der nun an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ergangene Auftrag sei eine gute Nachricht. Viele Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten engagierten sich bereits für Patienten mit komplexem Behandlungsbedarf. Sie täten das unter schwierigen Bedingungen, denn weder die Vergütung decke ab, was zu tun sei, noch gebe es eine ausreichende Versorgungsstruktur und Vernetzung, um dem Behandlungsbedarf dieser Patienten gerecht zu werden. Das solle sich in Zukunft ändern. Der Auftrag an den G-BA sei die Chance, einen großen Schritt weiterzukommen.
G-BA-Auftrag für bettenbezogene Mindestanzahl an Psychotherapeuten
Positiv sei auch, so Munz, dass der G-BA bis zum Herbst 2020 bettenbezogene Mindestvorgaben für die Zahl an Psychotherapeuten in den Kliniken der Psychiatrie und Psychosomatik vorzulegen habe. Dies gebe Hoffnung, dass sich die Versorgung psychisch kranker Menschen auch im stationären Bereich verbessere. Der G-BA-Beschluss im September dieses Jahres sei noch völlig unzureichend gewesen. Die BPtK werde ein tragfähiges Konzept entwickeln, um angesichts der unterschiedlichen Interessen im G-BA zu einer sachgerechten Lösung beizutragen.
Auftrag an den G-BA zur Qualitätssicherung in der ambulanten Psychotherapie
Alle anderen sozialrechtlichen Regelungen, die mit der Reform der Psychotherapeutenausbildung als weitere Punkte beschlossen worden seien, seien erst fünf vor zwölf in den Gesetzentwurf eingefügt worden, kritisierte der BPtK-Präsident. Damit sei eine weitere Reform der psychotherapeutischen Versorgung beschlossen worden, ohne dass es vorher eine fachliche Diskussion mit der Profession oder eine öffentliche Anhörung gegeben hätte. Dies betreffe insbesondere auch die Regelungen zur Qualitätssicherung (QS). Der G-BA sei damit beauftragt worden, Mindestanforderungen einer Standarddokumentation zu beschließen, bis Ende 2022 ein neues sektorspezifisches QS-Verfahren in der ambulanten Psychotherapie einzuführen und anschließend das Antrags- und Gutachterverfahren abzuschaffen.
Psychotherapeutische Standarddokumentation
Bereits seit 1999 und verstärkt seit dem Patientenrechtegesetz 2013 finde eine Debatte um Empfehlungen für eine Standarddokumentation statt, erläuterte Munz. Vorteil einer solchen Standarddokumentation sei, dass sie allen Psychotherapeuten, egal in welchem Bereich sie arbeiten, eine Orientierung gebe, was sie in Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten zu Beginn, während und zum Ende einer Behandlung in der Patientenakte dokumentieren sollten. Die Standarddokumentation sei Qualitätssicherung in der Verantwortung der Profession. Eine Standarddokumentation könne dabei die Komplexität einer Psychotherapie nicht abbilden. Sie könne nur ein Grundgerüst sein, das die wesentlichen Inhalte und Information der Behandlung festhält, u. a. damit Psychotherapeuten untereinander und mit dem Patienten über die Behandlung sprechen oder diese im Nachgang nachvollziehen können.
Die BPtK habe zu diesem Zweck bereits Anfang 2018 gemeinsam mit den Landeskammern eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt, um eine Standarddokumentation als Empfehlung für die Professionsangehörigen zu entwickeln. Diese solle dem nächsten DPT vorgelegt werden. Munz betonte, dass sich die Kammern für eine gute Qualitätssicherung in der Psychotherapie einsetzen werden. Die Psychotherapeuten seien ein freier Beruf, der dem Wohl seiner Patienten verpflichtet sei: Das sei eine Verpflichtung, der die Psychotherapeuten gerecht würden. Das QS-Verfahren, das der G-BA entwickele, müsse den Psychotherapeuten relevante Informationen liefern, wie sie die Versorgung patientenorientiert weiterentwickeln können. Insbesondere müsse es bürokratiearm sein und dürfe nicht zu einem QS-Papiertiger verkommen, der kaum relevante Informationen liefere. Die Empfehlungen der Profession für eine Standarddokumentation müssten dabei berücksichtigt werden.
»Wir sind die fachlichen Normgeber“, betonte Bernhard Moors hierzu in der Aussprache zum Vorstandsbericht. „Das darf man nicht anderen überlassen.“ Ulrich Bestle bedankte sich beim Vorstand, dass dieser sich frühzeitig des Themas Qualitätssicherung angenommen habe, sodass die Profession nun handlungsfähig sei.
Abschaffung des Antrags- und Gutachterverfahrens
Mit dem neuen Qualitätssicherungsverfahren in der ambulanten Psychotherapie solle dann auch das bisherige Antrags- und Genehmigungsverfahren abgeschafft werden. An seine Stelle werde dann voraussichtlich ein QS-Verfahren treten, das in der Praxis noch gar nicht erprobt wurde. „Die Zweckmäßigkeit solcher politischen Entscheidungen ist zweifelhaft“, kritisierte Munz.
Honorarzuschläge für Kurzzeittherapie
Kritisch bewertete der BPtK-Präsident die Begründung für die Regelung, dass künftig die ersten zehn Sitzungen einer Kurzzeittherapie um 15 Prozent besser vergütet werden sollten. Dahinter stehe offenbar die Idee, die Behandlungsdauer durch finanzielle Anreize zu verkürzen. Das alte Vorurteil, psychotherapeutische Behandlungen dauerten zu lange, schimmere durch diese honorartechnische Maßnahme. Munz machte deutlich, dass diese Erwartung der Politik trügerisch sei. „Das wird nicht klappen. Psychotherapeuten behandeln so lange wie notwendig und verkürzen aufgrund von finanziellen Anreizen nicht die Behandlungsdauer.“ Dies zeigten auch die Erfahrungen mit ähnlichen Regelungen in Selektivverträgen. Trotz substanzieller finanzieller Anreize für kürzere Therapie, verändere sich nicht die Behandlungsdauer und der Anteil der Langzeittherapien nehme nicht ab. „Psychotherapeuten sind nicht korrumpierbar“, stellte Munz fest.
Die Zuschläge könnten allerdings auch als Schritt hin zu einer angemesseneren Vergütung für psychotherapeutische Behandlungen bewertet werden. Gerade dem oftmals erhöhten Aufwand in der Anfangsphase einer psychotherapeutischen Behandlung, u. a. mit Anamnese, Fallkonzeption, Austausch mit Mitbehandelnden und Therapieplanung werde damit besser Rechnung getragen. Wichtig sei jedoch, dass weitere Maßnahmen für eine angemessenere Vergütung der Psychotherapie folgten. Insbesondere für die Komplexversorgung sei es dringend geboten, die notwendigen Investitionen in Praxisstrukturen, Vernetzungen und Weiterentwicklung des Leistungsangebots mit finanziellen Anreizen zu fördern.
In der nachfolgenden Diskussion betonte Georg Schäfer, dass er sich vom BPtK-Vorstand noch deutlichere Worte zu den sozialrechtlichen Regelungen gewünscht hätte. Die Regelungen seien ein Angriff auf die Langzeittherapie. Der Gesetzgeber sei hier eindeutig zu weit gegangen. Aus den Regelungen spreche auch das alte Vorurteil, dass in der Psychotherapie zu häufig Befindlichkeitsstörungen behandelt würden, kritisierte Rudi Bittner. „Dieser Unfug ist offenbar nur schwer aus manchen Köpfen zu kriegen.“ Der DPT verabschiedete mit großer Mehrheit die Resolution „Für den Erhalt des sicheren Rahmens der ambulanten Psychotherapie – gegen Eingriffe in die psychotherapeutische Behandlungshoheit“
DVG – gute Ansätze und Kritikpunkte
Beim Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG), das am 7. November verabschiedet worden sei, seien zentrale Forderungen der Profession berücksichtigt worden, betonte der BPtK-Präsident. Digitale Gesundheitsanwendungen seien künftig GKV-Leistungen. Ferner komme ein Verzeichnis, in dem verordnungsfähige Gesundheits-Apps aufgeführt würden. Die BPtK habe sich dafür eingesetzt, dass darin nur digitale Anwendungen gelistet werden, die nachweislich wirksam sind. Hier habe es einen Änderungsantrag in letzter Minute gegeben, der in die richtige Richtung weise. Im Gesetz sei jetzt vom „medizinischen Nutzen“ die Rede. Wie das in der Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit umgesetzt werde, sei noch unklar. Die BPtK fordere, dass der medizinische Nutzen durch Studien mit Kontrollgruppen belegt werden müsse. Wichtig sei zudem gewesen, dass Psychotherapeuten digitale Anwendungen künftig verordnen könnten. Auch dies sei auf der Endstrecke des Gesetzgebungsverfahrens erreicht worden.
Kritisch sei weiterhin, dass Krankenkassen ihren Versicherten digitale Anwendungen zur Verfügung stellen könnten, ohne dass vorher eine ausreichende Diagnostik und Indikationsstellung erfolgt sei. Ob ein Änderungsantrag, den es dazu im letzten Moment gegeben habe, ausreiche, sei noch unklar. Munz warnte davor, dass die Krankenkassen der Versuchung nicht widerstehen könnten, therapieersetzende Apps zu empfehlen. Er betonte, dass auch gute Gesundheits-Apps schaden könnten, wenn sie nicht beim richtigen Patienten oder falsch eingesetzt würden.
Dr. Thomas Guthke begrüßte, dass auch Psychotherapeuten künftig digitale Anwendungen verordnen können. Aus seiner Erfahrung in der neuropsychologischen Therapie wisse er, dass solche Programme helfen können, die Psychotherapie zu effektivieren. Prof. Dr. Rainer Richter forderte, dass digitale Anwendungen endlich auch systematisch auf ihre Nebenwirkungen erforscht werden müssten. Es dürfe nicht wieder hundert Jahre gewartet werden, bis dies ein Thema für die Versorgungsforschung werde. Munz berichtete über das Forschungsprojekt PsyTOM, das unter Beteiligung der BPtK entwickelt worden sei und vom Innovationsfonds gefördert werde. Die BPtK werde sich hierbei für eine differenzierte Erfassung unerwünschter Wirkungen von digitalen Anwendungen in der psychotherapeutischen Behandlung einsetzen.
Kritisch bewerteten die Delegierten, dass mit dem Digitalen-Versorgungs-Gesetz auch ermöglicht wurde, dass Abrechnungsdaten von Versicherten grundsätzlich für Forschungszwecke freigegeben werden. Barbara Lubisch sprach sich dafür aus, sich explizit für ein Widerspruchsrecht der Patienten einzusetzen. Dr. Jürgen Thorwart machte darauf aufmerksam, dass der Datenschutz einerseits mit der Datenschutz-Grundverordnung immer bürokratischer werde, andererseits die Gefahr des Verlustes der Datensouveränität immer weiter zunehme. Der DPT verabschiedete mit großer Mehrheit die Resolution „Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG): Keine Experimente mit psychisch kranken Patientinnen und Patienten! Keine Aushöhlung des Gesundheitsdatenschutzes!“
Digitale Agenda der BPtK
BPtK-Vizepräsidentin Dr. Andrea Benecke betonte, dass das Thema Digitalisierung den Vorstand im letzten halben Jahr intensiv begleitet habe. Neben einem BPtK-Standpunkt zu Gesundheits-Apps, sei eine Praxis-Info zum Thema Videobehandlung veröffentlicht worden. Für Januar sei außerdem ein Round-Table dazu geplant, wie sich das Berufsbild der Psychotherapeuten durch die Digitalisierung weiterentwickeln werde.
Andrea Benecke ging auch noch einmal auf den erfolgreichen Projektantrag beim Innovationsfonds („PsyTOM“) ein, mit dem eine „Gesundheits-App für Psychotherapeuten“ entwickelt werden soll. Dabei ginge es um die Entwicklung von Online-Modulen, die sich schulen- und diagnoseübergreifend in einer psychotherapeutischen Behandlung einsetzen lassen. Die Module sollten dann in der Versorgung eingesetzt und evaluiert werden. In einer randomisiert-kontrollierten Studie solle überprüft werden, wie sie genutzt werden und ob die Wirksamkeit ambulanter Psychotherapie dadurch intensiviert und stabilisiert werden könne.
Schutz vor Behandlung der Homo-, Bisexualität und Transgeschlechtlichkeit
Mit der Resolution „ Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit sind keine psychische Störung“ stellte der DPT klar, dass Homo-, Bisexualität und Transgeschlechtlichkeit keine psychischen Störungen sind und sogenannte Konversionstherapien, die auf eine Änderung dieser sexuellen Orientierungen bzw. der selbst empfundenen geschlechtlichen Identität abzielen, unzulässig sind. Er unterstützte das vom BMG in einem Referentenentwurf vorgeschlagene strafrechtliche Verbot dieser Behandlungen. Zugleich bekannte sich der DPT zu einer historischen Mitverantwortung, da entsprechende diagnostische Kategorien zur Diskriminierung beigetragen haben.
Projekt „Wirtschaftliche und berufliche Situation der in der ambulanten Versorgung tätigen Psychotherapeuten“
Den aktuellen Stand des Projekts zur wirtschaftlichen und beruflichen Situation der Psychotherapeuten in der ambulanten Versorgung stellte Vizepräsident Dr. Nikolaus Melcop vor. Zusammen mit den psychotherapeutischen Kollegen in der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sei eine umfassende Analyse durchgeführt worden. In einer Serie von Round-Table-Gesprächen seien die Themen „Anstellung“, „Weiterentwicklung des Leistungsspektrums“, „Praxisstrukturen“ und „Vergütungssysteme“ mit Vertretern der Landeskammern und der Ausschüsse diskutiert worden. Für den nächsten DPT kündigte Melcop einen umfassenden Bericht einschließlich eines Strategiekonzepts an. Daran soll sich ein weiteres Projekt anschließen, das Psychotherapeuten dabei unterstützen soll, ihre Praxisangebote und -strukturen weiterzuentwickeln. Die Profession soll in die Lage versetzt werden, mittels der neuen Befugnisse eine noch zentralere Rolle in der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen wahrzunehmen. Auch die Chance, eine Komplexversorgung zu entwickeln, solle genutzt werden.
Jahresabschluss 2018 und Haushaltsplan 2020 verabschiedet
Rudi Bittner, Vorsitzender des Finanzausschusses der BPtK, stellte den Jahresabschluss der BPtK für das Jahr 2018 vor. Die Delegierten nahmen den Jahresabschluss einstimmig an und entlasteten einstimmig den Vorstand der BPtK für das Haushaltsjahr 2018.
BPtK-Vorstand Wolfgang Schreck stellte den Haushaltsplan für 2020 vor. Auch darin sei die Reform der Musterweiterbildungsordnung ein zentraler Posten. In einem eigenen Projekthaushalt würden Mittel für eine umfassende Einbeziehung der Gremien bereitgestellt. Bittner erläuterte, dass der Finanzausschuss einstimmig eine Annahme des Haushalts empfehle. Die Delegierten des 35. DPT folgten dieser Empfehlung und stimmten dem Haushaltsplan der BPtK für das Jahr 2020 einstimmig zu.
Wahl des PTI-/KJP-Ausschusses
Die Wahlperiode der BPtK-Ausschüsse hatte bereits mit dem vorigen DPT geendet. Aus zeitlichen Gründen konnten damals jedoch nicht mehr die Neuwahl der Ausschüsse durchgeführt werden. In der Zwischenzeit hatten die Ausschüsse ihre Arbeit kommissarisch fortgesetzt. Die Versammlung dankte den bisherigen Mitgliedern des Ausschusses „Psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen“ (KJP) und des Ausschusses „Psychotherapie in Institutionen“ (PTI) für ihre engagierte Arbeit in der vergangenen Legislaturperiode.
Für den KJP-Ausschuss wurden vom 35. DPT gewählt: Cornelia Beeking, Dr. Inez Freund-Braier, Jörg Hermann, Dr. Beate Leinberger, Bettina Meisel, Cornelia Metge, Prof. Dr. Ulrich Müller, Ariadne Sartorius, Oliver Staniszewski.
Für den PTI-Ausschuss wurden vom 35. DPT gewählt: Ullrich Böttinger, Susanne Grohmann, Karl-Wilhelm Höffler, Dr. Christina Jochim, Dr. Steffen Landgraf, Nicole Lentz, Sandra Schnülle, Dr. Heiner Vogel, Dr. Ulrike Worringen.
Wahl der Versammlungsleitung
Die Amtszeit der amtierenden Versammlungsleitung endete mit dem 35. DPT. BPtK-Präsident Munz dankte Birgit Gorgas, Jürgen Golombek und Johannes Weisang für ihr großes Engagement und die hohe Kompetenz und Umsicht, mit der sie das Parlament der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten auch durch viele mitunter schwierige und komplexe Debatten geführt hatten. Die Delegierten verabschiedeten die Versammlungsleitung mit langanhaltendem Applaus. Birgit Gorgas bedankte sich für die ausgesprochen konstruktive Zusammenarbeit mit den Delegierten. Seit letzter Woche sei nun sicher, dass es der Psychotherapeutenschaft gemeinsam gelungen sei, eine Reform ihrer Ausbildung zu erreichen.
Als neue Mitglieder der Versammlungsleitung wählten die Delegierten Birgit Gorgas erneut als Versammlungsleiterin und als stellvertretende Versammlungsleitung Juliane Sim und Stuart Massey Skatulla. Jürgen Golombek und Johannes Weisang standen für eine neue Amtszeit nicht mehr zur Verfügung.
Resolutionen
Die Delegierten beschlossen jeweils mit großer Mehrheit folgende Resolutionen:
- Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit sind keine psychische Störung
- Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG): Keine Experimente mit psychisch kranken Patientinnen und Patienten! Keine Aushöhlung des Gesundheitsdatenschutzes!
- Für den Erhalt des sicheren Rahmens der ambulanten Psychotherapie – gegen Eingriffe in die psychotherapeutische Behandlungshoheit
- Klimaschutz und nachhaltiges Handeln
- Verfahrensvielfalt in der Psychotherapie absichern
Downloads
- Resolution "Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit sind keine psychische Störung"
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- Resolution "Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG): Keine Experimente mit psychisch kranken Patientinnen und Patienten! Keine Aushöhlung des Gesundheitsdatenschutzes!"
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- Resolution "Für den Erhalt des sicheren Rahmens der ambulanten Psychotherapie – gegen Eingriffe in die psychotherapeutische Behandlungshoheit"
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- Resolution "Der 35. DPT ruft zu Klimaschutz und nachhaltigem Handeln auf"
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- Resolution "Verfahrensvielfalt in der Psychotherapie absichern - Resolution zum Referentenentwurf der Approbationsordnung zum Psychotherapeutenausbildungsreformgesetz"
0.1 MB
Veröffentlicht am 26. November 2019