Herausragendes Engagement für chronische Schmerzpatienten
Diotima-Ehrenpreis für Prof. Birgit Kröner-Herwig und Dr. Paul Nilges
Prof. Dr. Birgit Kröner-Herwig und Dr. Paul Nilges haben 2019 den Diotima-Ehrenpreis der deutschen Psychotherapeutenschaft erhalten. Die deutsche Psychotherapeutenschaft ehrt in diesem Jahr damit eine Kollegin und einen Kollegen, die sich für die Versorgung von Menschen mit chronischen Schmerzen engagieren. „17 Prozent aller Deutschen leiden an chronischen Schmerzen – das sind mehr als 12 Millionen Menschen. Ihre Leidensgeschichte dauert durchschnittlich 7 Jahre, mehr als 20 Prozent leiden über 20 Jahre an chronischen Schmerzen“, stellte Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), in seiner Begrüßung fest.
Mit dem Diotima Ehrenpreis wurden deshalb eine Kollegin und ein Kollege ausgezeichnet, die sich in ihrem Berufsleben dieser Patientengruppe gewidmet und maßgeblich dazu beigetragen haben, eine qualifizierte Schmerzpsychotherapie zu etablieren.
Musikalisch wurde die Preisverleihung mitreißend begleitet vom Trio Laccasax.Mit einer Mischung aus Tango, Klezmer, Jazz, Klassik und Moderne begeisterte das Trio mit Akkordeon, Kontrabass, Gitarre und Saxofon die Zuhörer.
Professorin Birgit Kröner-Herwig hatte bis zu ihrer Emeritierung 2016 den Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie in Göttingen inne. Mit ihr wird eine Pionierin der psychologischen Schmerzforschung in Deutschland ausgezeichnet. Schon in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, als das Thema Schmerz in der Psychologie noch wenig prominent war, hat sie sich mit den psychophysiologischen Zusammenhängen chronischer Schmerzen und der Wirkung von Biofeedback bei Kopfschmerzen beschäftigt.
Das Forschungsinteresse von Kröner-Herwig galt aber nicht nur den psychophysiologischen Zusammenhängen chronischer Schmerzen, sondern auch der Entwicklung und Erforschung wirksamer Behandlungsansätze. Sie wurde 1990 Mitherausgeberin der ersten Auflage des Lehrbuchs „Psychologische Schmerztherapie“, das heute unter dem Titel „Schmerzpsychotherapie“ als Standardwerk gilt. Durch ihr gesamtes berufliches und persönliches Wirken hindurch hat sie damit wesentliche Grundlagen zur Verbesserung der Versorgung von Schmerzpatienten geschaffen. In ihrem Vortrag betonte Frau Prof. Birgit Kröner-Herwig die Bedeutung psychischer Faktoren für die Entstehung chronischer Schmerzen. Die erste interdisziplinäre Schmerzklinik sei 1947 in den USA gegründet worden. Erfahrungen in der Behandlung von kriegsverletzten Soldaten hatten gezeigt, dass vergleichsweise stark verletzte Soldaten weniger Morphin benötigten als Zivilpersonen mit ähnlichen Verletzungen im Heimatkrankenhaus. Aufgefallen sei auch, dass Soldaten zur Schmerzbekämpfung manchmal Kochsalzlösung bekamen, wenn kein Morphin verfügbar war und dennoch einen schmerzstillenden Effekt verspürten. Damit sei bestätigt worden, dass die Schwere der Verletzung nicht mit der Stärke der empfundenen Schmerzen in Zusammenhang stehen muss. Damit ließen sich sowohl Placebo-Effekte belegen als auch, dass persönliche Erfahrungen das Schmerzerleben mitbestimmen. Heute sei die interdisziplinäre und multimodale Schmerztherapie der Goldstandard. „Chronischer Schmerz ist ein wichtiges Arbeitsfeld von Psychotherapeuten geworden“, so Kröner-Herwig. „Die Preisauszeichnung verstehe ich auch als Zeichen der Wertschätzung dieses Fachgebiets.“
Dr. Paul Nilges war bis zu seinem Ruhestand leitender Psychotherapeut am DRK Schmerzzentrum in Mainz. Neben seiner klinischen und wissenschaftlichen Tätigkeit hat er sich mit viel Leidenschaft und Engagement für die Etablierung einer qualifizierten Schmerzpsychotherapie in Deutschland eingesetzt. Schon früh hat er erkannt, dass die Rolle der Psychotherapeuten in der interdisziplinären Versorgung von Schmerzpatienten mit einer entsprechenden Qualifizierung an Bedeutung zunimmt und die Integration von Psychotherapeuten in einem ursprünglich rein medizinischen Gebiet fördert. Für die Entwicklung der Schmerzpsychotherapie war deshalb seine langjährige Mitwirkung in der Deutschen Schmerzgesellschaft, die bis dato eher ärztlich dominiert war, überaus wichtig.
Mit viel Ausdauer und Überzeugungskraft und trotz Widerständen hat Paul Nilges zudem dafür gekämpft, dass die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz als erste Landeskammer bereits 2006 eine Weiterbildung in „Schmerzpsychotherapie“ eingeführt hat. Auch die Ergänzung der Musterweiterbildungsordnung im Jahr 2018 hat er maßgeblich mitgeprägt. Der Stellenwert der psychotherapeutischen Mitbehandlung von Schmerzpatienten ist seitdem deutlich gewachsen.
In seinem Vortrag zeichnete Dr. Paul Nilges auf unterhaltsame Weise die Entwicklung der Schmerztherapie von einer rein medizinischen oder psychologischen zu einer interdisziplinären Fachdisziplin nach. Seien Psychotherapeuten zunächst Exoten auf Schmerzkongressen gewesen oder diagnostischer „Lückenfüller“, wenn der Arzt nicht weitergewusst habe, seien sie heute unverzichtbarer Teil eines interdisziplinären Schmerzteams und Voraussetzung dafür, dass die multimodale Schmerztherapie im Krankenhaus abgerechnet werden kann. „Mediziner und Psychologen haben gemeinsam einen neuen Kontinent entdeckt“, so Nilges. Heute wisse man um die komplexen Wechselwirkungen biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren bei der Entstehung chronischer Schmerzen. Diese zu berücksichtigen, sei wesentlich für eine wirksame multimodale Behandlung. Eine neue Entwicklung in der Interdisziplinarität sei der Einbezug der Patientenperspektive. Den Preis verstehe er auch als Auszeichnung für die vielen Jahre, in denen wissenschaftlich an einem tragfähigen Konzept des Schmerzes gearbeitet worden sei.
Veröffentlicht am 21. November 2019