Ambulante Komplexbehandlung für Kinder und Jugendliche startet am 1. April
Bewertungsausschuss hat Vergütung neuer Leistungen beschlossen
Das neue multiprofessionelle Versorgungsangebot für schwer psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche nach der Richtlinie über die berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung schwer psychisch kranker Kinder und Jugendlicher (KJ-KSVPsych-RL) kann am 1. April 2025 starten.
Der ergänzte Bewertungsausschuss hat auf seiner 111. Sitzung die nötigen Änderungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) beschlossen, mit denen die neuen psychotherapeutischen Leistungen dieses Versorgungsangebots in den EBM aufgenommen und deren Vergütung geregelt wurden. Damit sind alle Voraussetzungen erfüllt, dass die ambulante Komplexbehandlung nun auch für schwer psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche in die Praxis umgesetzt werden kann.
Die KJ-KSVPsych-Richtlinie war am 21. März 2024 vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossen worden und am 9. Juli 2024 in Kraft getreten. Mit dieser Richtlinie wurden die Grundlagen für eine teambasierte, multiprofessionelle Versorgung schwer psychisch erkrankter Kinder und Jugendlicher geschaffen, bei der bedarfsabhängig auch eine bessere Zusammenarbeit und Koordination der Leistungen an der Schnittstelle zum Beispiel zur Jugendhilfe, zu Schule und Kita oder zur Eingliederungshilfe organisiert werden kann. In den Teams arbeiten stets eine Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*in und eine Kinder- und Jugendpsychiater*in systematisch zusammen. Die Patient*innen bzw. die Sorgeberechtigten wählen eine Psychotherapeut*in oder Ärzt*in als zentrale Ansprechpartner*in, die für sie die gesamte Behandlung plant und die Zusammenarbeit koordiniert („Bezugspsychotherapeut*in/-ärzt*in“). Teil des sogenannten „Zentralen Teams“ ist darüber hinaus eine nichtärztliche koordinierende Person, die bestimmte Koordinationsaufgaben übernehmen soll. Zudem können weitere Leistungserbringer*innen wie Krankenhäuser, Ergotherapeut*innen, Eingliederungshilfe oder Jugendämter mit einbezogen werden, um eine individuell angepasste Behandlung zu gewährleisten.
Diese Vernetzungsarbeit kostet Zeit und ist künftig im Rahmen der ambulanten Komplexbehandlung abrechenbar. Dafür wurden auch Leistungen wie das Aufsuchen der Patient*innen im häuslichen Umfeld, Fallbesprechungen und die Teilnahme an SGB-übergreifenden Hilfeplangesprächen in einem neuen Abschnitt 37.6 in den EBM aufgenommen.
Was sind die Ziele der ambulanten Komplexbehandlung?
- Verbesserung der Versorgungssituation schwer psychisch kranker Kinder und Jugendlicher
- Stärkung der Koordination und interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Leistungserbringer*innen
- Frühzeitige und kontinuierliche Behandlung zur Reduktion von Chronifizierungen
- Schließen von Versorgungslücken zwischen ambulanter, stationärer und sozialer Betreuung
Wer kann die ambulante Komplexbehandlung erhalten?
Die KJ-KSVPsych-RL ist für schwer psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche bestimmt, die aufgrund der Komplexität ihrer Symptomatik und des hohen Behandlungsbedarfs eine koordinierte und strukturierte multiprofessionelle Versorgung benötigen.
Kriterien für die Aufnahme in das Versorgungsprogramm:
- Diagnosen nach ICD-10 GM: F1 bis F6, F84, F9 oder F7x.1 des ICD-10 GM
- Beeinträchtigungsschwere: mindestens ein psychosozialer Umstand (5. Achse MAS) und ernsthafte soziale Beeinträchtigung (6. Achse MAS, Stufe 4 - 8)
- Komplexer Behandlungsbedarf: mindestens zwei Maßnahmen der Krankenbehandlung durch Leistungserbringer*innen unterschiedlicher Disziplinen pro Quartal
Was sind die Kernelemente des Versorgungsangebots?
Die multiprofessionelle Versorgung der Patient*innen wird maßgeblich über die patientenindividuellen „Zentralen Teams“ organisiert, die Vertreter*innen zumindest der folgenden Berufsgruppen umfassen:
- eine Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*in (inklusive Psychologische Psychotherapeut*innen mit Fachkunde Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie),
- eine Kinder- und Jugendpsychiater*in,
- eine nichtärztliche koordinierende Person für bestimmte Koordinationsaufgaben.
Für die nichtärztliche koordinierende Person sieht § 6 Absatz 2 der KJ-KSVPsych-Richtlinie eine spezifische berufliche Qualifikation vor (u. a. Ergotherapeut*in, MFA, Soziotherapeut*in, Sozialarbeiter*in, Sozialpädagog*in, Psycholog*in, Heilpädagog*in, Heilerziehungspfleger*in, MFA). Dabei ist auch eine fachspezifische Zusatzqualifikation, die Kenntnisse im Umgang mit psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen belegt, oder eine zweijährige Berufserfahrung (inklusive Ausbildungszeiten) in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen erforderlich.
Je nach Versorgungsbedarf können weitere Leistungserbringer*innen in die Versorgung einbezogen und bei der Zusammenarbeit im „Erweiterten Team“ berücksichtigt werden.
Weitere wesentliche Elemente des Versorgungsangebots:
- eine Bezugsarzt/-ärztin oder Bezugspsychotherapeut*in, die als zentrale koordinierende Instanz fungiert. Sie sorgt dafür, dass alle beteiligten Leistungserbringer*innen koordiniert zusammenarbeiten und bedarfsabhängig zum Beispiel auch Einrichtungen der Jugendhilfe, der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienste oder der Eingliederungshilfe in die Versorgung eingebunden werden
- individueller Gesamtbehandlungsplan, der auf die Patient*in abgestimmt und kontinuierlich fortgeschrieben wird
- regelmäßige Fallbesprechungen zur Evaluierung und Anpassung der Behandlung
- SGB-übergreifende Hilfekonferenzen, um Zusammenarbeit mit Jugendhilfe, Schule und anderen relevanten Institutionen sicherzustellen
- Zusammenarbeit mit weiteren (nicht zur Teilnahme nach der Richtlinie berechtigte) Akteur*innen: u. a. Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienste, Eingliederungshilfe, Einrichtungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Jugendämter, ÖGD, Jugendhilfe, Schulen und Kitas, schulpsychologische Dienste, Pflegeeinrichtungen, psychosoziale Beratungsstellen, Traumaambulanzen (§ 31 SGB XIV), Selbsthilfeorganisationen, psychosoziale Einrichtungen zur Versorgung von Geflüchteten, Rehabilitationseinrichtungen
Neue Gebührenordnungspositionen (GOP) im Abschnitt 37.6 des EBM
Weitere Abrechnungsregelungen
- Alle neuen Leistungen – außer der Fallbesprechung (GOP 37650) – können ausschließlich von Vertragsärzt*innen und Vertragspsychotherapeut*innen abgerechnet werden, die zur Teilnahme an der Komplexversorgung berechtigt sind.
- Die Leistungen nach den GOP 37620, 37625, 37630, 37635, 37651, 37656 dürfen nur von der jeweiligen Bezugspsychotherapeut*in/-ärzt*in abgerechnet werden.
- Die Leistungen der differenzialdiagnostischen Abklärung und der Erstellung eines Gesamtbehandlungsplans (GOP 37610 und 37620) können nur abgerechnet werden, wenn im aktuellen oder vorigen Quartal die Eingangssprechstunde (GOP 37600) berechnet wurde.
- Die Teilnahme an einer Fallbesprechung und einer SGB-übergreifenden Hilfeplankonferenz (GOP 37650 & 37655) können auch als telefonische oder Video-Fallbesprechung abgerechnet werden. Zusätzlich ist in den Fällen der Technikzuschlag berechenbar (GOP 01450).
- Psychotherapeutische Gespräche (GOP 22220 & 23220) können im Rahmen der KJ-KSVPsych-Richtlinie in einem größeren Umfang erbracht und abgerechnet werden. Diese Gesprächsziffer ist im Quartal bis zu 25-mal berechenbar, davon bis zu fünfmal auch mit Bezugspersonen ohne Anwesenheit der Patient*in.
Vereinbarungen zur Finanzierung
Der Bewertungsausschuss hat auf seiner 771. Sitzung beschlossen, dass die neuen GOP des Abschnitts 37.6 EBM zunächst extrabudgetär vergütet werden. Zusätzlich werden auch die psychotherapeutischen Gespräche (GOP 23220) ab dem 16. „Gespräch“ ebenfalls extrabudgetär vergütet.
Veröffentlicht am 21. März 2025