Herausragendes Engagement für Menschen mit Suchterkrankungen
Diotima-Ehrenpreis 2017 für Prof. Dr. Wilma Funke, Prof. Dr. Gerhard Bühringer, Prof. Dr. Johannes Lindenmeyer und Peter Missel
Prof. Dr. Wilma Funke, Prof. Dr. Gerhard Bühringer, Prof. Dr. Johannes Lindenmeyer und Peter Missel haben den diesjährigen Diotima-Ehrenpreis der deutschen Psychotherapeutenschaft erhalten. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) ehrt damit in diesem Jahr eine Kollegin und drei Kollegen, die sich für die Versorgung von Menschen mit Suchterkrankungen engagieren.
BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz stellte Suchterkrankungen und übermäßigen Substanzkonsum als bedeutendes epidemiologisches, sozial- und gesundheitspolitisches Problem heraus. Jedes Jahr sterben in Deutschland 74.000 Menschen an den Folgen ihres Alkoholkonsums. Mehr als 3 Millionen Menschen sind abhängig von Alkohol oder trinken Alkohol in schädlichen Mengen. Dabei ist Alkohol längst nicht die einzige Droge, die zu sozialen und gesundheitlichen Schäden führt. Tabak, Medikamente, illegale Drogen wie Cannabis, aber auch pathologisches Glücksspiel führen zu deutlichen Gesundheitsbelastungen in der Bevölkerung.
Professor Bühringer wurde nach langjähriger Arbeit am Institut für Therapieforschung in München 2005 auf die erste deutsche Professur für Suchtforschung an der Technischen Universität Dresden berufen, die er nach wie vor als Seniorprofessor leitet. Sein gesamtes Berufsleben lang hat er sich der empirisch und experimentell begründeten Suchtforschung und der Entwicklung und Verbreitung von Behandlungsmethoden für Suchterkrankungen gewidmet. Damit hat er die Psychotherapie von Suchterkrankungen wissenschaftlich begründet und weiterentwickelt, und zwar gleichermaßen für stoffgebundene wie auch Verhaltenssüchte. Er hat sich auf verschiedensten Ebenen für einen Wissenschaftstransfer und die Evaluation und Verbesserung der Gesundheitsversorgung eingesetzt. Besonders engagiert hat er sich außerdem für die Prävention von Suchterkrankungen, indem er Fragen nach Risikofaktoren für die Entstehung von Substanz- und Glücksspielstörungen nachgegangen ist, aber auch, indem er sich national wie international an der Weiterentwicklung von gesetzlichen Regulierungskonzepten für Substanzstörungen und Glückspielen beteiligt hat. Damit hat er die Suchtkrankenhilfe nicht nur in Deutschland maßgeblich stimuliert und geformt.
Professor Lindenmeyer leitet die Salus Klinik Lindow und ist seit 2016 Honorarprofessor für psychosomatische und Suchtrehabilitation an der Technischen Universität Chemnitz. Mit ihm wird ein Kollege geehrt, der die Psychotherapie bei Suchterkrankungen weiterentwickelt und wesentlich dazu beigetragen hat, sie im Versorgungssystem zu verankern. In seiner Funktion als Wissenschaftler hat er den Weg von einer allgemeinen Psychotherapie der Sucht hin zur Entwicklung suchtspezifischer Behandlungsmethoden entscheidend mitgeprägt. Indem er sich gezielt an Multiplikatoren und Medien wandte, hat er außerdem maßgeblich dazu beigetragen, dieses Wissen sowohl nachfolgenden Generationen von Psychotherapeutinnen und -therapeuten als auch Suchtkranken zur Verfügung zu stellen. Viele Lehrbücher, Ratgeber, Buch- und Zeitschriftenbeiträge sind bis heute unter seinem Namen erschienen. Das Buch "Lieber schlau als blau", das sich gleichermaßen an Erkrankte und Angehörige sowie Therapeuten richtet, erscheint bereits in der 9. Auflage und kann deshalb zu Recht als Klassiker oder Standardwerk für die Psychotherapie von Suchterkrankungen gelten.
In seinem Vortrag zeigte Lindenmeyer die besonderen Herausforderungen auf, vor der Erkrankte und Behandler zu Beginn der psychotherapeutischen Behandlung einer Suchterkrankung stehen. Insbesondere betonte er, dass die Motivation in der Suchtbehandlung "nicht vom Himmel falle". Entgegen der häufigen Überzeugung, dass nur ein bereits "motivierter" Patient behandelt werden könne, sei es aus seiner Sicht auch Aufgabe der Psychotherapie, diese Motivation zu fördern und aufzubauen. Er stellte außerdem die große Bedeutung einer teilhabeorientierten Behandlung heraus. Unabhängig davon, ob Patienten im Anschluss an eine Behandlung an ihren Arbeitsplatz direkt zurückkehren oder nicht, sei es von großer Bedeutung, mögliche Schwierigkeiten im Arbeitsleben bereits während der Behandlung zu thematisieren. Dazu könnte der Umgang mit Stress am Arbeitsplatz genauso gehören wie Bewerbungstrainings oder die Teilnahme an alltagspraktischen Gruppen, aber unter Umständen auch die Vorbereitung darauf, langfristig keinen Arbeitsplatz mehr zu finden. Lindenmeyer stellte zudem Behandlungsansätze aus einer neuropsychologischen Perspektive vor. Der langfristige Behandlungserfolg könne durch das Training, mit Suchtautomatismen in Risikosituationen zu leben, verbessert werden.
Peter Missel ist Psychologischer Psychotherapeut und leitender Psychologe der MEDIAN Kliniken Daun - Am Rosenberg und Vorsitzender des Eifeler Verhaltenstherapie-Instituts. Seinem Engagement und politischen Weitblick ist es zu verdanken, dass die Entwöhnungsbehandlung für Suchtkranke ein wesentlicher Bestandteil des Suchthilfesystems in Deutschland und im internationalen Vergleich einzigartig ist. Bereits in den 1980er Jahren hat er eine verhaltenstherapeutische Klinik für Abhängigkeitserkrankungen aufgebaut und so eine umfassende psychotherapeutische Versorgung in der Behandlung von Menschen mit Suchterkrankungen im deutschen Gesundheitssystem verankert. Er hat früh erkannt, dass eine fundierte Ausbildung von Psychotherapeuten ein essenzieller Bestandteil einer qualitativ hochwertigen psychotherapeutischen Versorgung ist, und sich daher auch durch die Gründung eines Ausbildungsinstituts stets für eine Vernetzung von Ausbildung und Versorgung engagiert. Er hat sich langjährig dafür eingesetzt, Psychotherapie als wesentliches Behandlungsmittel in der Entwöhnung und Psychotherapeuten als wichtige Berufsgruppe in der Rehabilitation von Suchtkranken zu etablieren.
In seinem Vortrag stellte Missel die Stärken und Besonderheiten des Suchthilfesystems in Deutschland heraus, das sich über Jahrzehnte als Sonderversorgungssystem herausgebildet habe. Dieses System biete Vorteile der interdisziplinären Zusammenarbeit und Vernetzung von Suchthilfe, Beratung und Behandlung. Gleichzeitig habe dieses Sonderversorgungssystem zu einer Einordnung der Suchterkrankungen außerhalb des Kanons psychischer Störungen geführt. Suchterkrankungen müssten jedoch in das Behandlungssystem psychischer Erkrankungen reintegriert werden, deswegen „sprechen wir von Psychotherapie der Sucht und nicht von Suchttherapie“, erläuterte Missel. Er stellte die Kooperationsmöglichkeiten zwischen Psychotherapie und Suchtbehandlung dar und zeigte Möglichkeiten einer weiteren Verbesserung auf. Dabei würdigte Missel auch die langjährige Kooperation zwischen der BPtK, dem Fachverband Sucht und der Deutschen Gesellschaft für Suchtpsychologie, die bereits zu einer Verbesserung der Rahmenbedingungen in der Versorgung geführt hätten. In Zukunft gelte es für die Profession, sich auch die psychotherapeutische Behandlung dieser großen Patientengruppe zur wesentlichen Aufgabe zu machen – nicht nur in den akut- und rehabilitativ behandelnden Einrichtungen, sondern genauso im Bereich der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung.
Professorin Funke ist Psychologische Psychotherapeutin und leitende Psychologin in den Kliniken Wied, 2010 wurde ihr der Professorentitel von der Katholischen Hochschule NRW in Köln verliehen. Ihr beruflicher Weg ist geprägt sowohl durch ihre Tätigkeit in der Forschung als auch in der psychotherapeutischen Versorgung. Mit ihrem stetigen Engagement, beide Bereiche zu verbinden, hat sie Wesentliches erreicht, um Menschen mit Suchterkrankungen eine wissenschaftlich fundierte Versorgung anbieten zu können und zentralen Fragen der Versorgungspraxis wissenschaftlich nachzugehen. Dabei hat sie nicht nur zu einem fruchtbaren Austausch zwischen Praxis und Forschung, sondern auch immer wieder zur Vernetzung unterschiedlicher Versorgungsbereiche beigetragen. Dazu gehörte auch, die differenzielle Indikationsstellung in der Suchtbehandlung weiterzuentwickeln. Ihr Engagement für eine psychotherapeutische Behandlung von Menschen mit Suchterkrankungen hat nicht nur geholfen, die Suchterkrankungen zu entstigmatisieren, sondern hat auch nachfolgenden Generationen von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten die Suchtbehandlung als spannendes Berufsfeld zugänglich gemacht.
Funke stellte die Notwendigkeit einer vernetzten Suchtbehandlung heraus. "Optimale Behandlung ist mehr als Anwendung von Behandlungsbausteinen", betonte sie. Anhand eines Fallbeispiels skizzierte sie, welchen Informationsfluss und welche Abstimmungen es brauche, um psychische, somatische und soziale Probleme adäquat zu adressieren. Das erfordere die Beachtung und Steuerung eines komplexen Geschehens mit vielen Beteiligten. In Zukunft sei mit verkürzten stationären Behandlungszeiten zu rechnen, die lange ambulante Unterstützungsphasen zur Stabilisierung und ein angemessenes Rückfallmanagement durch kurze (stationäre) Auffangbausteine erforderlich machten. Wichtig sei es dabei, die soziale und berufliche Integration zu fördern. Dafür bräuchte es auch eine angemessene Suchtbehandlungskompetenz aller Behandler. Es gelte in Zukunft außerdem, das Phänomen und die Diagnose der nicht stoffgebundenen Süchte zu präzisieren.
Der Diotima-Ehrenpreis der deutschen Psychotherapeutenschaft wird einmal im Jahr an Personen oder Organisationen verliehen, die sich in besonderem Maß um die Versorgung psychisch kranker Menschen verdient gemacht haben. Der Preis ist nach Diotima aus Mantineia benannt, einer mythischen Priesterin der Antike. Sie gilt als Lehrerin des Sokrates, die ihn dazu inspirierte, als erster Philosoph die Seele des Menschen in den Mittelpunkt seines Denkens und Lehrens zu stellen.
Veröffentlicht am 30. November 2017