Wann kann ein Psychotherapieverfahren als wissenschaftlich anerkannt gelten?
BPtK-Round-Table zur Humanistischen Psychotherapie am 27. September 2018 in Berlin
In seinem Gutachten vom 11. Dezember 2017 kam der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBP) zu dem Ergebnis, dass die Humanistische Psychotherapie nicht als wissenschaftlich anerkanntes Psychotherapieverfahren gelten kann. Die Humanistische Psychotherapie erfüllte zum einen nicht alle erforderlichen Kriterien für ein Psychotherapieverfahren. Zum anderen reichten die empirischen Belege der Wirksamkeit nicht aus, um ihre wissenschaftliche Anerkennung bei einem hinreichend breiten Spektrum von psychischen Erkrankungen festzustellen. Beides wäre jedoch erforderlich gewesen, um die Humanistische Psychotherapie für die vertiefte Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zu empfehlen. In diesem Zusammenhang hatte der WBP in seinem Gutachten festgestellt, dass auch die Gesprächspsychotherapie, die von den Antragstellern als eine Methode der Humanistischen Psychotherapie zugeordnet worden war, die aktuellen Kriterien für ein wissenschaftlich anerkanntes Psychotherapieverfahren nicht erfüllt.
Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) veranstaltete am 27. September 2018 in Berlin einen Round Table, um über die Entwicklungsperspektiven der Humanistischen Psychotherapie und der Gesprächspsychotherapie nach dem WBP-Gutachten zu diskutieren.
Rolle und Aufgaben des WBP
BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz stellte die Rolle und Aufgaben des WBP dar. Dabei hob er hervor, dass die Ausübung von Psychotherapie durch Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten eine „mittels wissenschaftlich anerkannter psychotherapeutischer Verfahren vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist“, sei. Diese Wissenschaftlichkeitsklausel finde sich im Psychotherapeutengesetz sowohl im Hinblick auf die Ausübung von Psychotherapie als auch auf die staatliche Anerkennung von Ausbildungsstätten und die Vorgabe, welche Psychotherapieverfahren dort Gegenstand der vertieften Ausbildung sein können.
Zu den Aufgaben des WBP gehöre die gutachterliche Beratung von Behörden zur Frage der wissenschaftlichen Anerkennung von einzelnen psychotherapeutischen Verfahren nach § 11 PsychThG und damit zusammenhängend auch die Beratung hinsichtlich der staatlichen Anerkennung von Ausbildungsstätten. Zweitens beschäftige sich der WBP mit Anfragen von Fachverbänden in Bezug auf die wissenschaftliche Anerkennung von Psychotherapieverfahren und -methoden. Drittens greife er eigeninitiativ wissenschaftliche Fragestellungen der Psychotherapieforschung auf und setze Impulse für eine Förderung der Psychotherapie- und Versorgungsforschung.
Darüber hinaus solle der Beirat im Rahmen seiner wissenschaftlichen Stellungnahmen zu einer die Berufsgruppen übergreifenden Einheitlichkeit beitragen, sodass seine Gutachten für Ärzte, Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten gleichermaßen Bedeutung erlangen. Damit komme ihm auch eine wichtige Funktion in der Qualitätssicherung der psychotherapeutischen Versorgung zu.
Zum WBP sei zwischen Bundesärztekammer (BÄK) und BPtK eine Vereinbarung getroffen worden. Hierin sind insbesondere die fachliche Unabhängigkeit des Gremiums, seine Zusammensetzung und Amtszeit, der alternierende Vorsitz, die Prinzipien der methodischen Transparenz, die Regelungskompetenz für die Geschäftsordnung und die Rechte der Beauftragten der Vorstände der entsendenden Kammern geregelt worden. Danach setzt sich der WBP paritätisch aus sechs Vertretern der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sowie sechs ärztlichen Vertretern aus den Bereichen „Psychiatrie und Psychotherapie“, „Psychosomatische Medizin und Psychotherapie“ und „Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie und -psychotherapie“ zusammen. Zudem sei bei der Berufung sicherzustellen, dass es sich um wissenschaftlich ausgewiesene Persönlichkeiten handelt, die über praktische Erfahrung in psychotherapeutischer Patientenbehandlung verfügen. Der Vorstand der BPtK berufe daher seine Mitglieder unter besonderer Berücksichtigung dieser beiden Kriterien als wissenschaftlich ausgewiesene Experten mit Praxiserfahrung und nicht als Vertreter eines bestimmten Psychotherapieverfahrens.
Wie der WBP die wissenschaftliche Anerkennung von Psychotherapieverfahren und -methoden prüfe, habe er in seinem Methodenpapier festgelegt. Ausgangspunkt sei die grundsätzliche Überlegung, dass die wissenschaftliche Anerkennung eines Psychotherapieverfahrens dann festzustellen ist, wenn es sich aus wissenschaftlicher Sicht um ein Psychotherapieverfahren handelt, dessen Durchführung in der Praxis nachweislich zur Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert führt. Das Methodenpapier lege im Detail fest, wie dieser allgemeine Grundsatz geprüft wird, d. h. es bestimmt einerseits die Kriterien der Prüfung, andererseits die Vorgehensweise. Munz hob die 18 Anwendungsbereiche der Psychotherapie (Bereiche von Diagnosegruppen) hervor, für die separat die wissenschaftliche Anerkennung eines Psychotherapieverfahrens oder einer Psychotherapiemethode geprüft werde. Hierbei würde die Anwendung eines Psychotherapieverfahrens bei Kindern und Jugendlichen und bei Erwachsenen gesondert geprüft.
WBP-Gutachten zur Humanistischen Psychotherapie
Prof. Dr. Dr. Gereon Heuft stellte das Gutachten des WBP zur Humanistischen Psychotherapie vor. Unter der Bezeichnung „Humanistische Psychotherapie“ seien von den antragstellenden Fachgesellschaften insgesamt zehn psychotherapeutische Ansätze zusammengefasst worden: Gesprächspsychotherapie, Gestalttherapie, Emotionsfokussierte (Einzel-)Therapie und Emotionsfokussierte Paartherapie, Psychodrama, Logotherapie, Existenzanalyse, Körperpsychotherapie, Pesso Boyden System Psychomotor, Integrative Therapie und Transaktionsanalyse.
Der Beirat konnte bei den zehn psychotherapeutischen Ansätzen zwar eine übergeordnete psychotherapeutische Grundorientierung feststellen. Für eine Anerkennung als Verfahren fehlte es jedoch insbesondere an einer systematischen und differenzierten Vermittlung der zehn Ansätze in einer gemeinsamen Aus-, Fort- oder Weiterbildung. Auch mangelte es an einem Konzept der differenziellen Indikationsstellung. Darüber hinaus fehlten insbesondere Studien, die den hohen Qualitätsstandards des WBP entsprachen und die die Wirksamkeit in dem Anwendungsbereich Angststörungen belegten. Vor diesem Hintergrund kam der WBP in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass die Humanistische Psychotherapie weder als Verfahren für die vertiefte Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten noch zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten empfohlen werden kann.
Die meisten empirischen Belege für Wirksamkeit lagen für die Gesprächspsychotherapie bei Erwachsenen vor. Hier stellte der WBP die wissenschaftliche Anerkennung in drei Anwendungsbereichen fest: bei affektiven Störungen, Anpassungs- und Belastungsstörungen sowie psychischen und sozialen Faktoren bei somatischen Erkrankungen. Dies reichte aber nicht aus, um die wissenschaftliche Anerkennung der Gesprächspsychotherapie bei einem hinreichend breiten Spektrum von psychischen Erkrankungen festzustellen. Die Gesprächspsychotherapie erfüllte daher nicht die Anforderungen eines wissenschaftlich anerkannten Psychotherapieverfahrens und konnte nicht mehr als Verfahren für die vertiefte Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten empfohlen werden. Für die übrigen psychotherapeutischen Ansätze der Humanistischen Psychotherapie stellte der Beirat in keinem Anwendungsbereich die wissenschaftliche Anerkennung fest. Für die Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen konnte der WBP sogar für keinen der psychotherapeutischen Ansätze die wissenschaftliche Anerkennung in einem der Anwendungsbereiche der Psychotherapie feststellen.
Heuft erläuterte beispielhaft die Bewertung einzelner Studien durch den WBP und legte detailliert dar, wie der Beirat bei der Prüfung vorgegangen ist, wenn eine Studie nicht als Wirksamkeitsbeleg anerkannt werden konnte. Er hob auch den Einsatz des WBP für die Psychotherapieforschung hervor, der in der Vergangenheit beispielsweise schon zur „Förderung von Forschungsverbünden zur Psychotherapie“ durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geführt habe. Er betonte jedoch auch den Patientenschutz, der für die Arbeit des WBP von zentraler Bedeutung sei. Die Gutachten des WBP dienten aber auch dem Schutz von Psychotherapeuten, in dem sie den Einsatz der anerkannten Verfahren politisch und bei juristischen Auseinandersetzungen fachlich begründe. Dem WBP komme zudem die wichtige Aufgabe zu, die psychologische und ärztliche Psychotherapie zu verbinden und deren Finanzierung durch die gesetzliche Krankenversicherung auch in der Zukunft sicherzustellen.
Das Rational einer verfahrens- vs. indikationsbezogenen Methodenbewertung
Prof. Dr. Rainer Richter begründete die verfahrensbezogene Bewertung von Psychotherapieverfahren und -methoden. Noch vor einigen Jahren habe es die internationale Entwicklung gegeben, nur noch spezifische Methoden für begrenzte Indikationen zu entwickeln, jedoch keine neuen Verfahren mehr zu begründen. Psychotherapie wäre nicht mehr als ein „Methodencocktail“ ohne Gesamtbehandlungsplan gewesen. Einzelne Studienergebnisse hätten aufgezeigt, dass einzelne, spezifische Methoden als Gesamtbehandlung ausreichten, wohingegen unspezifische, methodenübergreifende Faktoren (therapeutische Beziehung, Allegiance, Empathie) die Methodenbewertung verzerrten. Deshalb hätte es auch Stimmen gegeben, die gesetzliche Bindung der Ausbildung an Verfahren zugunsten einer Qualifikation für spezifische Methoden aufzuheben und damit die etablierte psychotherapeutische Versorgung grundsätzlich infrage zu stellen.
Richter wies darauf hin, dass Ärzte zur Anwendung unterschiedlicher Behandlungsverfahren, auch nicht anerkannter Methoden, befugt seien. Im Unterschied dazu habe bei den Psychotherapeuten die Methodenbewertung eine deutlich größere Bedeutung, da sie direkten Einfluss auf die Ausübung des Berufs habe. Die Lösung dieser Problematik sei daher die vertiefte Ausbildung in einem Psychotherapieverfahren gewesen, anhand dessen umfangreiche Kenntnisse und Fertigkeiten in der Vielfalt der psychotherapeutischen Methoden und Techniken erlernt würden. Damit sei die Befugnis bzw. sozialrechtliche Zulassung als Psychotherapeut oder Facharzt für ein breites Indikationsspektrum anstatt einer gesonderten sozialrechtlichen Zulassung von verfahrensimmanenten Methoden und Techniken verbunden worden.
Entsprechend beschloss der Beirat auch sein Konzept einer verfahrensbezogenen Methodenbewertung, das aufgrund einer großen Gesamtzahl an Störungsbildern im Indikationsbereich der Psychotherapie bewertet und gerade nicht auf Ebene einzelner Diagnosen entscheidet. Er kategorisierte die psychischen Störungen in größere versorgungsrelevante Klassen von Störungen, wobei sinnvollerweise neben der möglichen nosologischen und phänomenologischen Nähe auch die Häufigkeit in der Allgemeinbevölkerung, ihr Vorkommen in der psychotherapeutischen Praxis und ihre Bedeutung als Gegenstand der Psychotherapieforschung berücksichtigt werden sollten.
Das so entstandene Konzept der Versorgungsrelevanz diene der Bewertung von Verfahren für das gesamte Spektrum der Anwendungsbereiche der Psychotherapie und verhindere eine indikationsbezogene Zulassung von Psychotherapieverfahren. Dieses Konzept sei auch den Empfehlungen des WBP zur vertieften Ausbildung zugrunde gelegt worden. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe dieses Schwellenkriterium 2007 auch in die Psychotherapie-Richtlinie übernommen. Damit sei eine indikationsbezogene sozialrechtliche Zulassung von Verfahren verhindert worden. Gleichzeitig sei für Psychotherapiemethoden erstmals die indikationsbezogene Zulassung eingeführt worden.
Perspektiven der Weiterentwicklung der Humanistischen Psychotherapie
Prof. Dr. Jürgen Kriz stellte zunächst die historische internationale wie nationale Entwicklung der Humanistischen Psychotherapie vor. International sei die Humanistische Psychotherapie eine anerkannte Grundorientierung, die sowohl von der American Psychological Association als auch durch relevante Standardwerke der Psychotherapieforschung als solche eingeordnet werde. Auch in Deutschland sei insbesondere die Gesprächspsychotherapie lange Zeit gut in Lehre und Forschung vertreten gewesen.
Die aktuelle Bewertung des WBP stelle daher aus seiner Sicht im Vergleich zur internationalen Entwicklung einen deutschen Sonderweg dar. Weiterhin kritisierte Kriz das aktuelle Gutachten des WBP zur Humanistischen Psychotherapie, da es sich um einen sehr knappen Ausgang gehandelt habe. Es habe nur ein Wirksamkeitsbeleg im Bereich Angst- und Zwangsstörungen gefehlt. Zudem habe der WBP seiner Meinung nach nicht ausreichend auf die von der Arbeitsgemeinschaft Humanistische Psychotherapie (AGHPT) eingeholten Stellungnahmen reagiert. Dass die Gesprächspsychotherapie nach dem neuen Gutachten auch nicht mehr über die wissenschaftliche Anerkennung verfüge, läge nicht an einer neuen inhaltlichen Argumentation, sondern an der geänderten Methodik der Beweisführung.
Auch bei der Psychodynamischen Therapie und der Verhaltenstherapie handele es sich um Konglomerate verschiedener Methoden und Techniken, die weitaus umfangreicher seien als die aus nur zehn verschiedenen Methoden bestehende Humanistische Psychotherapie. Die AGHPT habe sich bei der Erstellung des Antrags an den bisher wissenschaftlich anerkannten Richtlinienverfahren orientiert. Die Darstellung des WBP-Gutachtens, das die zehn Methoden der Humanistischen Psychotherapie nun als „Ansätze“ bezeichne, sei eine Verzerrung. Es sei nicht nachvollziehbar, weswegen gerade bei der Humanistischen Psychotherapie die fehlende differenzielle Indikationsstellung als Ablehnungsgrund aufgeführt werde. Zusammenfassend konstatierte er, dass bei der Bewertung der Humanistischen Psychotherapie mit Kriterien gearbeitet worden sei, die in dieser Form nicht für die bisher wissenschaftlich anerkannten Verfahren gegolten haben.
Dr. Manfred Thielen schloss sich der Kritik am WBP-Gutachten an. Er wies darauf hin, dass die AGHPT bereits vor ihrem Antrag eine Vorabanfrage bezüglich des Verfahrensbegriffs eingereicht habe. Der WBP habe damals die Auffassung vertreten, dass die empirische Evidenz gemeinsam mit der Frage des Verfahrensbegriffs bewertet werden müsse, was ein unsachgemäßes Vorgehen des WBP zur Folge gehabt hätte. Er kritisierte ferner, dass für die AGHPT kein Gutachtenprotokoll zur Erstellung des Gutachtens einsehbar sei. Außerdem seien Studien, die vormals vom WBP bei der Prüfung der Gesprächspsychotherapie in den Jahren 1999 bzw. 2002 anerkannt worden seien, bei der erneuten Prüfung im Rahmen der Humanistischen Psychotherapie nicht mehr anerkannt worden. Er bemängelte weiterhin, dass keine Sachverständigen für Humanistische Psychotherapie für die Erstellung des Gutachtens herangezogen worden seien und kein Mitglied oder Stellvertreter des WBP über ausreichende Expertise verfügt habe. Fast alle Beiratsmitglieder seien dagegen mit einem bereits anerkannten Verfahren verbunden, das zur Humanistischen Psychotherapie in Konkurrenz stehe, sodass ein struktureller Beurteilungsbias nicht ausgeschlossen werden könne. Thielen forderte daher eine erneute Prüfung der Humanistischen Psychotherapie, nach einer Neubesetzung des WBP.
Zur Gegenwart und Zukunft der Humanistischen Psychotherapie führte Thielen aus, dass ein von der AGHPT entwickeltes Curriculum bereits gut nachgefragt werde. Humanistische Psychotherapeuten seien zudem oft in Beratungsstellen tätig. Geplant sei außerdem die Verbreitung der Humanistischen Psychotherapie im ambulanten, stationären und institutionellen Bereich. Thielen betonte, dass der WBP lediglich eine „beratende Funktion“ habe. Über die wissenschaftliche Anerkennung eines Psychotherapieverfahrens und damit verbunden die staatliche Anerkennung von Ausbildungsstätten könnten nur die Landesbehörden entscheiden.
Die Nichtanerkennung der Humanistischen Psychotherapie sei umso erstaunlicher, da die Verhaltenstherapie an ihr seit Jahren Raubbau betreibe und viele ihrer Elemente übernommen habe. Dadurch entstehe ein 2-Klassen-System der Psychotherapie, bei dem die Richtlinienpsychotherapieverfahren sich die Filetstücke aus der Humanistischen Psychotherapie herausschneiden würden, um für Patienten attraktiv zu bleiben, während diese ins Abseits gedrängt werde.
Die AGHPT fordere die BPtK auf, bei der Neubesetzung des WBP für die kommende Amtsperiode einen Vertreter der Humanistischen Psychotherapie zu berufen. Außerdem sollten die Anerkennungskriterien des WBP zugunsten qualitativer Forschung verändert werden und eine erneute Prüfung der Humanistischen Psychotherapie vorgenommen werden. Für die Ausbildungsreform und die Weiterbildungsordnungen sehe er jedoch keinen direkten Einfluss des Gutachtens.
Innovative Psychotherapieforschung – Wo stehen wir und wo wollen wir hin?
Prof. Dr. Bernhard Strauß stellte die Entwicklungen und Diskurse innerhalb der Psychotherapieforschung der vergangenen Jahre dar. Dabei entstünden vermehrt Modularisierungen und neue Ansätze innerhalb bereits vorhandener Traditionen. Zu beobachten seien auch Anleihen aus nicht genuin psychotherapeutischen Feldern wie beispielsweise die Integration von Achtsamkeitskonzepten. Daran geknüpft sei häufig auch die Frage, ob es in Zukunft überhaupt noch Psychotherapieschulen brauche. Betrachte man die Geschichte der Psychotherapieforschung, so lasse sich zusammenfassen, dass durch randomisiert-kontrollierte Studien gut belegt sei, dass Psychotherapie wirksam ist, ihre Wirksamkeit sich auch auf die Praxis übertragen lasse, dass aber Veränderungsprozesse unterschiedlich lang dauern und Psychotherapeuten sich bezüglich ihrer Effekte deutlich unterscheiden.
Gleichzeitig rückten aber auch Zustandsverschlechterungen in den Fokus klinischer Studien, geringe Remissionsraten sowie hohe Non-Response-Raten. Die Psychotherapieforschung habe aufzeigen können, dass kontextuelle Faktoren wie Allianz, Empathie oder Erwartungen mit dem Therapieergebnis zusammenhängen. Einigermaßen sicher könne man zudem festhalten, dass Psychotherapeuten mit zunehmender Erfahrung nicht besser werden, spezifische Kompetenzen nicht mit dem Therapieergebnis zusammenhängen, die Adhärenz zu einem Behandlungsmanual nicht wesentlich mit dem Ergebnis assoziiert ist, strukturierte und fokussierte Behandlungen wirksamer sind und spezifische Techniken nur einen geringen Einfluss auf das Therapieergebnis haben.
Die Psychotherapieforschung stehe jedoch auch zum heutigen Zeitpunkt noch vor einigen Fragen, die immer wieder zu Kontroversen führten. Die Frage nach der Über- und Unterlegenheit spezifischer Verfahren spalten die Psychotherapeuten regelmäßig in zwei Lager von Dodoisten („alle sind wirksam“) und Antidodoisten („es bestehen Unterschiede in der Wirksamkeit“). Wesentlich für eine Psychotherapieforschung sei auch in Zukunft ein andauernder Austausch zwischen Forschung und Praxis. So sollten sich evidenzbasierte Forschung, die top down Vorgaben an die Praxis richtet, und praxisbezogene Forschung, die bottom up Forschungsfragen generiere, im besten Fall wechselseitig inspirieren. In Zukunft bräuchte es weitere Erkenntnisse zu transdiagnostischen Interventionen, da Patienten häufig unter Komorbiditäten litten. Es bräuchte zudem Studien zu Subgruppen, um herauszufinden, welche Patienten von einer spezifischen Intervention am meisten profitieren könnten. Auch eine weitere Erforschung von Therapeutenfaktoren und der Ausbildung von Psychotherapeuten sei notwendig. In Zukunft sollten zudem neurobiologische Ansätze, die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen, neue statistische Verfahren, der Einbezug von Patienten, ethische Fragen, langfristige Effekte sowie soziokulturelle Perspektiven stärker Berücksichtigung finden.
Als Fazit fasste Strauß zusammen, dass zum heutigen Zeitpunkt eine Empfehlung spezifischer Behandlungen kaum gerechtfertigt sei. Wichtiger als mögliche kleine Unterschiede in der Wirksamkeit von Psychotherapieverfahren sei vielmehr, dass der Zugang von Patienten zur Psychotherapie verbessert werde und Veränderungen in der Versorgung stärker in den Blick genommen werden. Zu robustem Wissen über Psychotherapie gelange man vor allem dort, wo Psychotherapieforschung und klinische Praxis zu vergleichbaren Erkenntnissen gelangen. Das Kernwissen über Psychotherapie solle daher vor allem in der gemeinsamen Schnittmenge von Psychotherapieforschung und klinischer Praxis gesucht werden.
Perspektiven der Gesprächspsychotherapie
Dr. Dorothee Wienand-Kranz und Birgit Wiesemüller stellten zunächst den Status quo der Gesprächspsychotherapie dar. Hierbei handle es sich um ein weltweit anerkanntes und wissenschaftlich begründetes Psychotherapieverfahren. Zum aktuellen Zeitpunkt sei es in der Musterweiterbildungsordnung der BPtK sowie in den meisten Weiterbildungsordnungen der Landespsychotherapeutenkammern verankert. Es sei ein Verfahren für die vertiefte Ausbildung zur Approbation und ein wissenschaftlich anerkanntes Verfahren nach § 11 PsychThG. Beide Rednerinnen argumentierten, dass kein Auftrag für eine erneute Prüfung der Gesprächspsychotherapie, die bereits wissenschaftlich anerkannt sei, vorgelegen habe und diese dem Methodenpapier des WBP widerspreche. Weiterhin kritisierten sie, dass keine Vertreter der Humanistischen Psychotherapie und der Gesprächspsychotherapie im Beirat vertreten seien.
Wienand-Kranz und Wiesemüller stellten zudem die Begründungen des Beirats aus den Gutachten zur Psychodynamischen Psychotherapie, Verhaltenstherapie und Humanistischen Psychotherapie gegenüber. Dabei ließen sich unterschiedliche Bewertungskriterien des WBP bei der Prüfung der verschiedenen Verfahren erkennen. Sowohl bei der Psychodynamischen Psychotherapie als auch bei der Verhaltenstherapie hätte der WBP eine Pluralität der Methoden und Interventionen innerhalb der Verfahren dargestellt, bei der Humanistischen Psychotherapie sei diese Pluralität jedoch dazu verwendet worden, sie nicht als Verfahren, sondern als psychotherapeutische Grundorientierung einzustufen. Die Begründung des Beirats hätte demnach nicht ausreichend die Unterschiede zwischen einer positiven Bewertung der Psychodynamischen Psychotherapie und der Verhaltenstherapie im Vergleich zur Humanistischen Psychotherapie dargelegt. Als Zwischenfazit ziehen sie, dass keine Autorisierung des WBP nach § 11 PsychThG für die Prüfung der Gesprächspsychotherapie vorlag, sondern diese auf Basis der Vereinbarung zwischen BPtK und BÄK erfolgte. Die Vereinbarung zwischen den Bundeskammern halten sie für dringend überarbeitungsbedürftig. Es mangele dem Beirat aktuell an Wissen und Sachverständnis über die Gesprächspsychotherapie. Das Menschenbild der Gesprächspsychotherapie unterscheide sich stark von dem der anderen Psychotherapieverfahren, insbesondere der kognitiven Verhaltenstherapie und auch die Gestaltung der therapeutischen Beziehung lasse sich nicht vergleichen.
Perspektivisch forderten die beiden Rednerinnen die Gleichstellung aller wissenschaftlich begründeten Verfahren inklusive der Gesprächspsychotherapie, sodass auch künftig Studierende eine Ausbildung in diesen vier Grundorientierungen erhalten können. Auch in den Weiterbildungsordnungen der Landespsychotherapeutenkammern müsse die Gesprächspsychotherapie verankert bleiben. Analog sollte auch in der Versorgung gesetzlich Versicherter eine Behandlung mit den Psychotherapieverfahren aller vier Grundorientierungen zugänglich gemacht werden.
Diskussion
In der Diskussion wurde insbesondere die Relevanz des Schwellenkriteriums für die wissenschaftliche Anerkennung von Psychotherapieverfahren hervorgehoben. Betont wurde, dass die im Methodenpapier des WBP definierten Anforderungen, dass in mindestens drei Anwendungsbereichen eine wissenschaftliche Anerkennung festgestellt werden muss, sicherstellt, dass Psychotherapeuten, die in einem anerkannten Psychotherapieverfahren ausgebildet werden, über therapeutische Interventionen für eine ausreichende Breite von Erkrankungen verfügen. Das im Methodenpapier definierte Kriterium, wonach mindestens in den Anwendungsbereichen Depression und Angst eine wissenschaftliche Anerkennung vorliegen muss, stelle zudem sicher, dass Psychotherapeuten über wirksame Interventionen für die Behandlung von besonders versorgungsrelevanten Störungsbildern verfügen.
Die Diskussion spiegelte die Spannung zwischen dem Wunsch, eine möglichst große Pluralität psychotherapeutischer Orientierungen zu erhalten, und den notwendigen Anforderungen an die Qualitätssicherung, die zu erfüllen sind, um ihrer Aufgabe in der Patientenversorgung gerecht zu werden und die international einzigartige Integration der Psychotherapie als Regelleistung in die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland sicherzustellen.
Veröffentlicht am 06. November 2018