Esstörungen
Essstörungen sind schwere psychische Erkrankungen, die auch dem Körper massiv schaden. Essen oder Nicht-Essen bestimmt das Leben der erkrankten Personen, ganz überwiegend Frauen.
Es werden vor allem drei Arten der Essstörungen unterschieden:
- Anorexie (Magersucht),
- Bulimie (Ess-Brech-Sucht),
- Binge-Eating-Störung: Essattacken ohne Versuche, einer Gewichtszunahme entgegenzuwirken, wie zum Beispiel Erbrechen oder Fasten.
Die verschiedenen Essstörungen können ineinander übergehen oder sich abwechseln. Oft entwickelt sich aus einer Magersucht eine Bulimie.
Zahlen und Fakten
- Essstörungen sind insgesamt eher seltene, aber häufig sehr schwere psychische Erkrankungen.
- In der weiblichen Bevölkerung zwischen Pubertät und dem 30. Lebensjahr gehören die Essstörungen zu den häufigen psychischen Erkrankungen.
- Etwa ein Prozent der Frauen erkrankt während ihres Lebens an einer Magersucht.
- Circa zwei Prozent der Frauen leiden während ihres Lebens an einer Bulimie.
- Frauen erkranken etwa zwölfmal häufiger als Männer an einer Magersucht oder Bulimie.
- An Essattacken ohne Hungern und Erbrechen (Binge-Eating-Störung) erkranken zwischen zwei bis drei Prozent der Bevölkerung, Frauen etwa doppelt so häufig wie Männer.
- Essstörungen beginnen typischerweise im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter.
- Menschen mit Essstörungen leiden häufig auch an Depressionen, Angststörungen oder nehmen Alkohol, Drogen oder Medikamente als Suchtmittel ein.
Ursachen und Risikofaktoren
Fast immer wirken mehrere Faktoren zusammen, die das Risiko für eine Essstörung erhöhen:
- Geschlecht: Das Risiko ist für Mädchen oder Frauen deutlich höher, insbesondere bei Magersucht und Bulimie.
- Zwillingsstudien belegen, dass genetische Faktoren eine Rolle spielen.
- Komplikationen in der Schwangerschaft und bei der Geburt, gesundheitliche Probleme in der Kindheit und früh einsetzende Reifung erhöhen das Risiko für eine Erkrankung. Magersüchtige litten als Säugling und Kleinkind häufiger an Magen- und Darm-Beschwerden.
- Essstörungen sind in westlichen Industrienationen deutlich häufiger. Deshalb wird angenommen, dass das dortige Schönheitsideal von einem schlanken Körper das Erkrankungsrisiko erhöht.
- Magersüchtige beschäftigen sich übermäßig mit Figur und Körpergewicht. Familienfaktoren scheinen sich vor allem auf die Schwere der Erkrankungen auszuwirken.
- Sexueller Missbrauch und Vernachlässigung sowie psychische Krankheitsanfälligkeit und geringer Selbstwert in der Jugend erhöhen das Risiko für eine Bulimie, ebenso ein eingeschränktes Essverhalten, z. B. Vermeiden bestimmter hochkalorischer Nahrungsmittel.
Symptome
Magersucht (Anorexie):
- Die Patient*innen sind stark untergewichtig. Das Körpergewicht liegt mindestens 15 Prozent unter dem normalen Gewicht bzw. der Body-Mass-Index (BMI) liegt unter 17,5. Bei starker Ausprägung kann das Untergewicht lebensbedrohlich werden.
- Die Erkrankten führen das starke Untergewicht selbst herbei, vor allem dadurch, dass sie wenig oder nicht regelmäßig essen. Häufig nehmen die Erkrankten auch Appetitzügler oder treiben übermäßig intensiv Sport (z. B. exzessives Joggen). Sie meiden Lebensmittel, durch die sie an Gewicht zunehmen könnten. Manchmal erbrechen sie Gegessenes wieder, indem sie sich den Finger in den Hals stecken.
- Trotz des starken Untergewichts bestehen große Ängste, zuzunehmen oder dick zu werden.
- Häufig bleibt die erste Regelblutung aus oder die monatliche Menstruation erfolgt nicht regelmäßig. Bei Männern kann es zu Potenzverlust kommen.
- Erkrankte nehmen ihre Figur verzerrt wahr und sind trotz des Untergewichts überzeugt davon, zu dick zu sein. Ein schlanker Körper ist für sie übertrieben wichtig, um sich selbst akzeptieren zu können.
- Oftmals wollen die Erkrankten gar nicht wahrhaben, dass sie viel zu wenig Gewicht haben und damit ihre Gesundheit gefährden.
- Die starke Unterernährung führt häufig auch zu körperlichen Beschwerden: langsamer Puls, niedriger Blutdruck, Beschwerden im Unterleib, niedriger Stoffwechsel, Zahnausfall, Eiweiß- und Mineralienmangel.
Ess-Brech-Sucht (Bulimie):
- Das Körpergewicht dieser Patient*innen ist meist normal. Sie sind schlank und sehr gepflegt. Sie sind zwar ständig mit dem Essen beschäftigt, dies ist aber für andere meist nicht zu erkennen.
- Die Patient*innen erleiden regelmäßig Heißhungeranfälle, bei denen sie in kurzer Zeit sehr viel essen. Um die Kalorienzufuhr rückgängig zu machen, erbrechen sie meist das Gegessene, indem sie sich den Finger in den Hals stecken. Häufig nehmen sie auch Appetitzügler und treiben übermäßig intensiv Sport, z. B. exzessives Joggen.
- Es besteht eine krankhafte Angst davor, dick zu werden. Die Patient*innen setzen sich eine Gewichtsgrenze, die deutlich unter dem gesunden oder „optimalen“ Gewicht (BMI) liegt. Aus Furcht davor zuzunehmen, halten die Patient*innen zwischen den Essattacken oft eine Dauerdiät ein.
- Bei langanhaltender Erkrankung kommt es oft zu Zahnschäden und Störungen des Elektrolyt-Haushaltes.
Essattacken ohne Hungern oder Erbrechen (Binge-Eating-Störung):
- Die Patient*innen erleiden immer wieder Essattacken, bei denen sie sehr viel essen und die Kontrolle über das Essen verlieren.
- Sie versuchen nicht regelmäßig, die Kalorienzufuhr durch Erbrechen, Hungern oder exzessive körperliche Aktivität auszugleichen.
- Die Erkrankten sind deshalb häufig deutlich übergewichtig.
Diagnostik
- Für die diagnostische Einschätzung der Beschwerden führt die Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut ein ausführliches Gespräch mit der Patient*in.
- Psychotherapeut*innen fragen auch danach, welche psychischen Erkrankungen die Eltern schon hatten und wie das Essverhalten in der Familie war. Sie erkundigen sich auch nach möglicher emotionaler Vernachlässigung und Missbrauch.
- Sie klären, ob weitere psychische Störungen vorliegen, insbesondere Depressionen, Angststörungen, der Missbrauch von Alkohol, Drogen oder Medikamenten sowie Persönlichkeitsstörungen. Liegen andere („komorbide“) Erkrankungen vor, muss der Behandlungsschwerpunkt sorgfältig abgewogen werden.
- Die vielfältigen körperlichen Risiken der Essstörungen machen eine umfassende ärztliche Untersuchung unbedingt erforderlich.
Therapie
- Ist das geringe Gewicht der Patient*in lebensbedrohlich, muss sie meist im Krankenhaus behandelt werden. Dies kann erforderlich sein, wenn das Körpergewicht sehr deutlich unter dem Normalgewicht liegt oder die Patient*in rapide oder anhaltend abnimmt. Das wichtigste Therapieziel ist dann zunächst eine Gewichtszunahme, damit ein stabiles Minimalgewicht erreicht wird, das nicht mehr lebensbedrohlich ist. Dies ist in der Regel die Voraussetzung für eine weitergehende psychotherapeutische Behandlung.
- Bei allen drei Essstörungen ist eine Psychotherapie die Behandlungsmethode der ersten Wahl. Dabei sollte bei magersüchtigen Patient*innen im Jugendalter die Familie aktiv in die Behandlung einbezogen werden.
- Die Wirksamkeit der Psychotherapie bei Essstörungen wurde in zahlreichen Studien nachgewiesen. Lediglich bei Magersucht ist die empirische Studienlage noch unbefriedigend.
- Die wichtigsten Ziele der Psychotherapie sind ein normales Essverhalten und Gewicht sowie eine Behandlung der psychischen Beschwerden und Probleme. Dazu gehört, die falschen Schlankheitsideale zu korrigieren und die gestörte Wahrnehmung des eigenen Körpers und Gewichts („Körperschemastörung“) zu ändern. Zu den Zielen der Therapie gehören auch, ein angemessenes Selbstwertgefühl und soziale Kompetenzen zu entwickeln.
Heilungschancen
- Die Erfolgsaussichten einer Behandlung sind stark von der Schwere und Dauer der Essstörung abhängig.
- Die Heilungschancen sind bei der Bulimie und der Binge-Eating-Störung größer als bei der Magersucht.
- Bisher gelingt es, etwa 50 Prozent der magersüchtigen Patient*innen erfolgreich zu behandeln, bei weiteren 30 Prozent verbessert sich die Erkrankung deutlich. Bei rund 20 Prozent entwickelt sich eine chronische Essstörung, die dauerhaft bestehen bleibt. Liegen die Kontrolluntersuchungen mehr als zehn Jahre nach der Behandlung, steigen die Erfolgsaussichten sogar auf fast 75 Prozent.
- Für manche Patient*innen besteht ein besonders hohes Risiko, an der Erkrankung zu sterben. Zehn Jahre nach der Erstdiagnose lag die Sterberate von magersüchtigen Patient*innen zehnfach über dem Durchschnitt der Altersgenossinnen.
- Bei der Bulimie sind 50 bis 70 Prozent der Behandlungen erfolgreich. Allerdings können sich die Beschwerden verändern oder verlagern und es besteht ein erhöhtes Risiko, rückfällig zu werden.
- Bei Essattacken ohne Hungern und Erbrechen gesunden etwa zwei Drittel der Patient*innen.
Links und Literatur
Fachliteratur
DGPM, DGPs, DGPPN et al. (Hrsg). S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Essstörungen, Stand: 01.07.2019. Internet: www.awmf-leitlinien.de.
Zeeck A, Herpertz S (2015). Patientenleitlinie Diagnostik und Therapie der Essstörungen, Springer.
Jacobi C, Paul T & Thiel A (2004). Essstörungen. Reihe Fortschritte der Psychotherapie. Schulte D, Grawe K, Hahlweg K & Vaitl D (Hrsg.), Göttingen: Hogrefe.
Herpertz S, de Zwaan M, Zipfel S (2008). Essstörungen und Adipositas. Berlin: Springer.
Ratgeber
Fichter M (2009). Magersucht und Bulimie: Mut für Betroffene, Angehörige und Freunde. Basel: Karger.
Paul, T. (2008). Ratgeber Magersucht – Informationen für Betroffene und Angehörige. Göttingen: Hogrefe.