Europa
Psychische Gesundheit in der EU fördern
Die Psyche der EU-Bürger*innen ist belastet – durch die Coronapandemie, die Klimakrise und Krieg. Doch das Problem ist kein neues, schon vor den Krisenzeiten war der Handlungsbedarf groß. Die psychische Gesundheit muss gefördert werden. Wie das gelingen kann, hat die BPtK anlässlich der Europawahl 2024 in einem Positionspapier zusammengetragen.
Vom 6. bis 9. Juni 2024 findet in den EU-Mitgliedstaaten die Wahl zum Europäischen Parlament statt. Die amtierende EU-Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen (CDU), wurde als Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei (EVP) gewählt und tritt an, die Europäische Union (EU) weiterhin in die Zukunft zu führen. Sie war es, die im September 2022 in ihrer Rede State of the Union (Lage der Union) eine umfassende EU-Strategie zur psychischen Gesundheit ankündigte. Das Ziel: Psychische Gesundheit in alle Politikbereiche integrieren.
Die EU-Kommission legte im darauffolgenden Sommer 2023 die EU-Strategie vor: Jede EU-Bürger*in soll Zugang sowohl zu Prävention als auch psychischer Gesundheitsversorgung erhalten und nach der Genesung in die Gesellschaft wieder eingegliedert werden. Dabei nahm sie auch die gesellschaftlichen Krisen und die daraus resultierenden psychischen Belastungen in den Fokus, die auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die Klimakrise zurückzuführen sind. Die EU-Strategie identifizierte Ziele für relevante Handlungsbereiche – von der Prävention, wie der Reduktion psychischer Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz, über den erschwerten Zugang zur Versorgung, wie etwa aufgrund langer Wartezeiten auf Behandlungsangebote für Patient*innen oder fehlende Versorgungsangebote für Geflüchtete, bis hin zur Aufklärung und Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen in der EU.
Forderungen der BPtK zur Europawahl 2024
Doch welchen Stellenwert wird die Förderung der psychischen Gesundheit in der EU nach der Europawahl 2024 haben? Was bleibt von der EU-Strategie zur psychischen Gesundheit? Was wird umgesetzt?
Die BPtK hat in fünf Handlungsfeldern festgehalten, welche Ziele und Maßnahmen zur Förderung der psychischen Gesundheit auf EU-Ebene auf die politische Agenda gehören. Dieses Positionspapier ist am 6. März 2024 anlässlich der im Juni anstehenden Europawahl veröffentlicht worden.
- Psychische Gesundheit konsequent fördern
Eine zentrale Forderung: Die psychische Gesundheit muss konsequent gefördert werden. Die EU-Strategie zur psychischen Gesundheit muss umgesetzt und weiterentwickelt werden. „Die EU-Kommission hat mit der EU-Strategie zur psychischen Gesundheit einen ersten, wichtigen Schritt unternommen, die psychische Gesundheit in der EU zu stärken. Damit diese Ansätze auch spürbare Wirkungen entfalten, sind mehr Verbindlichkeit, klare Zeitziele und ein Monitoring des Umsetzungsstands ebenso wie eine ausreichende Finanzierung dringend erforderlich“, fordert Dr. Nikolaus Melcop, Vizepräsident der BPtK.
Die psychische Gesundheit muss im Sinne von „Mental Health in All Policies“ in den Lebenswelten gefördert werden. Dazu gehört unter anderem besseres Wissen zur psychischen Gesundheit, um psychische Gefahren zu erkennen und diesen frühzeitig entgegenzuwirken – egal ob in der Kita, der Schule oder am Arbeitsplatz. Prävention muss zielgruppenspezifisch erfolgen und insbesondere auch Sucht- oder Suizidprävention stärker verfolgen.
- Kinder und Jugendliche vor psychischen Gefahren schützen
Darüber hinaus müssen Kinder und Jugendliche auch auf EU-Ebene vor psychischen Gefahren nachhaltig geschützt werden. Dazu zählen unter anderem ein besserer Schutz vor sexualisierter Gewalt sowie verpflichtende Kinderschutzkonzepte für Organisationen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, ebenso wie die Entwicklung von Versorgungskonzepten für „Systemsprenger*innen“, also Kinder, die vom Hilfesystem bisher nicht die Unterstützung erhalten, die sie benötigen.
- Menschenrechte sind ein Fundament für psychische Gesundheit
Die BPtK fordert zudem, dass jede Form der Diskriminierung in der EU abgebaut wird, weil sie der psychischen Gesundheit schadet. Auch muss die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen vorangetrieben und gleichzeitig sichergestellt werden, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen ihre Rechte wahrnehmen können und in ihrer Teilhabe gefördert werden. Dazu gehört auch die Vermeidung von Zwangsmaßnahmen. Außerdem muss ein europäisches Verbot für sogenannte „Konversionsmaßnahmen“ etabliert werden.
- Gesundheitsdaten schützen, Patientensouveränität stärken
Datenschutz und Datensicherheit müssen in einem digitalisierten Gesundheitswesen sichergestellt sein. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens muss der besseren Versorgung von Patient*innen dienen und nicht vorrangig kommerziellen Interessen. Das muss unter anderem auch bei der Etablierung des EU-Gesundheitsdatenraums beachtet und zwingend ein Opt-out für die Forschungsdatenspende verankert werden.
- Subsidiaritätsprinzip und Selbstverwaltung im Gesundheitswesen wahren
Die Planung, Sicherstellung und Finanzierung des Gesundheitswesens sind Kompetenzen der EU-Mitgliedstaaten. Das Subsidiaritätsprinzip ist zu wahren und bewährte nationale Strukturen und Qualitätsstandards sind zu schützen.
Psychisches Wohlbefinden fördern
Schon vor der Coronapandemie waren über 84 Millionen Menschen in der EU von psychischen Problemen betroffen. Während der Coronapandemie nahmen Ängste und Depressionen zu, die Nachfrage nach Unterstützungsangeboten stieg, gleichzeitig war der Zugang zur psychischen Gesundheitsversorgung nicht für alle Europäer*innen gewährleistet. Dass die psychische Gesundheit gefördert und psychische Erkrankungen frühzeitig erkannt und behandelt werden, hat nicht nur für die einzelne EU-Bürger*in Relevanz. Psychische Erkrankungen schränken Patient*innen in ihrer beruflichen, schulischen und sozialen Teilhabe stark ein. Sie bedeuten für die EU als Wirtschafts- und Wohlstandsunion auch enorme gesamtgesellschaftliche Kosten von über 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Etwa 600 Milliarden Euro werden in der EU für Gesundheitsversorgung und Sozialleistungen aufgewandt und fallen durch indirekte Kosten wie verminderte Arbeits- und Leistungsfähigkeit sowie geringfügige Beschäftigung an.
»Wir erwarten von der EU, die Prävention psychischer Erkrankungen, einen besseren Zugang zur Versorgung und die Integration psychisch kranker Menschen in den Arbeitsmarkt mit Nachdruck in den Blick zu nehmen“, fordert Dr. Andrea Benecke, Präsidentin der BPtK. „Angesichts langer Arbeitsausfälle und einer hohen Anzahl an Frühberentungen infolge psychischer Erkrankungen, der daraus resultierenden hohen Kosten für die Gesundheits- und Sozialsysteme sowie angesichts des fortschreitenden Fachkräftemangels muss die EU bei diesem Thema aktiv handeln.“ Die Förderung der psychischen Gesundheit ist alles andere als Kür, sie ist Pflicht!
Positionspapier der BPtK
Veröffentlicht am 22. März 2024