Gesundheitspolitik
Gesundheitspolitische Zukunft nach der Bundestagswahl: Rück- und Ausblick für die psychotherapeutische Versorgung
Der Bundestagswahlkampf war eine Herausforderung für alle Beteiligten. Auf wenige Wochen wurde zusammengestaucht, wofür sich Parteien, Verbände und die Zivilgesellschaft normalerweise ein Jahr Zeit nehmen: Welche Herausforderungen sind zu bewältigten – und vor allem, wie?
Im Mittelpunkt des Wahlkampfes standen Debatten, die von der angespannten Wirtschaftslage und außenpolitischen Unsicherheiten geprägt waren. Das Attentat in Magdeburg und der Anschlag in Aschaffenburg haben die Migrationsdebatte zusätzlich befeuert. Die schrecklichen Gewalttaten einzelner Personen mit psychischen Auffälligkeiten oder Erkrankungen führten inmitten des Wahlkampfes auch zu rückwärtsgewandten Forderungen.
BPtK-Präsidentin Dr. Andrea Benecke mahnte: „Ein Register für psychisch erkrankte Menschen ist vollkommen rückständig und stigmatisierende Schaufensterpolitik.“ Beschlüsse der Innenminister*innen und im Deutschen Bundestag, wie ein Gefährdungspotenzial von psychisch erkrankten Menschen früher erkannt und Gewalttaten verhindert werden können, folgten. Klar ist: Menschen mit psychischen Erkrankungen sind als Gesamtgruppe nicht mit höherer Wahrscheinlichkeit gewalttätig. Register und eine Aufweichung der Schweigepflicht sind gefährlich, weil sie erkrankte Menschen stigmatisieren und die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen wirksame Behandlung suchen, reduzieren.
Welche Rolle spielte die Gesundheitspolitik im Wahlkampf?
In ihren Wahlprogrammen waren sich die demokratischen Parteien in der Analyse einig: Die Finanzierung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung muss stabilisiert und die Gesundheitsversorgung in Stadt und Land sichergestellt werden.
Und auch die psychotherapeutische Versorgung wurde in den Wahlprogrammen adressiert. CDU/CSU wollen ambulante und stationäre Versorgungsangebote für psychisch Erkrankte bedarfsgerecht verbessern. Der SPD zufolge sollen psychisch Erkrankte zügig einen Psychotherapieplatz erhalten. Bündnis 90/Die Grünen schlagen einen Bund-Länder-Pakt für mentale Gesundheit vor. Für psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche wollen CDU/CSU die Versorgungsangebote verbessern, die Grünen setzen auf Mental Health Coaches in Schulen. Die SPD strebt bundesweit niedrigschwellige, auch digitale Beratungsangebote für Kinder und Jugendliche an.
Dringender Handlungsbedarf
Die psychische Gesundheit muss gestärkt werden. Denn dass sich etwas ändern muss, ist wohl allen klar. Die Probleme sind spürbar. Die Zahl psychisch Erkrankter steigt. Jede fünfte Minderjährige* ist psychisch belastet und jede vierte Erwachsene* von einer psychischen Erkrankung betroffen. Psychische Erkrankungen sind die zweithäufigste Ursache für Krankschreibungen und die Hauptursache für Erwerbsminderungsrenten. Viele Menschen mit psychischen Erkrankungen warten monatelang auf einen Therapieplatz – im Durchschnitt 20 Wochen. Im ländlichen Raum belaufen sich die Wartezeiten auf bis zu einem halben Jahr.
Deshalb forderte die BPtK in ihrem Positionspapier zur Bundestagswahl die Politik auf, schnell ein Paket zu schnüren, das drei Maßnahmen umfasst: Erstens muss eine separate Bedarfsplanung für die psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen eingeführt werden, um Wartezeiten zu verkürzen und eine wohnortnahe Behandlung zu gewährleisten. Zweitens bedarf es einer Reform der Bedarfsplanung für Erwachsene in ländlichen und strukturschwachen Gebieten, insbesondere in Ostdeutschland und dem Ruhrgebiet, um gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. Drittens müssen gesetzliche Rahmenbedingungen zur Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung geschaffen werden.
Darüber hinaus gehört zu einem bedarfsgerechten Ausbau der Versorgungsstruktur eine intensive psychotherapeutische Behandlung in Krankenhäusern. Und: Die Prävention muss besser werden: Mental Health Mainstreaming muss in allen Politikfeldern umgesetzt werden, um die psychische Gesundheit zu fördern und zu erhalten.
Neue Bundesregierung
Am Wahlabend kristallisierte sich heraus, dass es eine Wiederauflage einer schwarz-roten Bundesregierung geben könnte. Das Sondierungspapier diente dazu, die größten Unstimmigkeiten zwischen den Parteien auszuräumen und die tiefgreifendsten Herausforderungen zu benennen. So ging es vor allem um den Staatshaushalt, Wirtschaft, Migration, aber auch um Arbeits- und Sozialpolitik. Für die Gesundheitspolitik wurde festgehalten, dass die Gesundheitsversorgung für alle gesichert bleiben müsse.
Noch ist nicht sicher, welche Einigung die Verhandlungspartner*innen in Sachen Gesundheitspolitik final treffen werden. Fest stehen die schwierigen Rahmenbedingungen. Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung ist nicht gesichert. Ende Februar wurde bekannt, dass die GKV für das Jahr 2024 ein Defizit von 6,2 Milliarden Euro zu verzeichnen hatte. Und auch die GKV-Finanzreserven liegen inzwischen deutlich unter der gesetzlich vorgesehenen Mindestreserve. Die Mittel, die mit dem Sondervermögen frei werden, werden teilweise für das marode Gesundheitswesen genutzt werden können – sie können die GKV-Finanzlage aber nicht grundlegend konsolidieren. Reformen im Gesundheitswesen werden aller Voraussicht nach auf Bürokratieabbau, Strukturreformen, Prävention, Digitalisierung, schnellere Versorgung, aber auch die Finanzstabilisierung der Kranken- und Pflegekassen abzielen.
Der designierte Kanzler Friedrich Merz hat einen ambitionierten Zeitplan für die Koalitionsverhandlungen festgelegt. Binnen weniger Tage haben die Fachpolitiker*innen, die an den Koalitionsverhandlungen beteiligt waren, ihre Verhandlungsergebnisse vorgelegt. Einige Ergebnisse der Arbeitsgruppen sind bekannt geworden. Demnach sind Kernanliegen der BPtK nun auch politischer Konsens der neuen Bundesregierung: separater Bedarfsplan für Kinder und Jugendliche, Stärkung der Versorgung im ländlichen Raum, finanzielle Sicherung der psychotherapeutischen Weiterbildung. Nun werden diese Ergebnisse in der großen Verhandlungsgruppe gesichtet, mitunter gefeilt und strittige Punkte konsentiert. Noch vor Ostern soll dann ein Entwurf des Koalitionsvertrags erarbeitet sein. Es geht darum, die angespannte Finanzlage im Gesundheitswesen in Einklang mit notwendigen Strukturreformen zu bringen, die eine sichere und bedarfsgerechte Patientenversorgung zukünftig garantieren. Für „Mental Health“ bedeutet das: die Prävention stärken, eine schnell zugängliche und gezielte psychotherapeutische Gesundheitsversorgung erreichen, die Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung sichern. Erforderlich ist dafür eine mutige, ambitionierte Politik; Mental Health in and for all Policies.
Veröffentlicht am 01. April 2025