QS-Verfahren Ambulante Psychotherapie
Workshop „Perspektiven der Qualitätssicherung in der Psychotherapie“
Zum 1. Januar 2025 hat die sechsjährige Erprobung des QS-Verfahrens Ambulante Psychotherapie in Nordrhein-Westfalen (NRW) begonnen.

Kammern, Verbände und Wissenschaft haben in den vergangenen Jahren immer wieder umfassend Kritik an den vom Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) entwickelten Instrumenten geübt. Dabei wurde immer auch die grundsätzliche Eignung des Ansatzes der einrichtungsvergleichenden Qualitätssicherung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) nach der DeQS-Richtlinie für die ambulante Psychotherapie hinterfragt. Um neben der Kritik an dem Verfahren auch mögliche Perspektiven einer professionseigenen Alternative der Qualitätssicherung in den Blick zu nehmen, fand am 14. Januar 2025 in Berlin ein Workshop der BPtK zu Perspektiven der Qualitätssicherung statt.
In seinem einführenden Vortrag legte BPtK-Vizepräsident Dr. Nikolaus Melcop die gravierenden methodischen und inhaltlichen Mängel des QS-Verfahrens dar. Er erläuterte, warum der Ansatz der datengestützten Qualitätssicherung des G-BA für den Bereich der ambulanten Psychotherapie gänzlich ungeeignet ist. Die datengestützte QS sei im Krankenhausbereich für klar umschriebene Interventionen und definierte Erkrankungen entwickelt worden. Dies einfach auf die ambulante Versorgung übertragen zu wollen, sei allein schon kritisch. Von den ambulanten Behandlungsverfahren sei gerade die ambulante Psychotherapie ein besonders ungeeigneter Anwendungsfall für diese Form der datengestützten Qualitätssicherung. Die Gruppe der behandelten Patient*innen sei hinsichtlich der Erkrankungen, Diagnosen und Schweregrade sowie der Krankheitsdauer und möglicher Komorbiditäten viel zu heterogen. Auch die Behandlungsdauern seien zu verschieden – von Kurzzeittherapien mit wenigen Monaten bis hin zu mehrjährigen Langzeittherapien. Hinzu komme der Einsatz unterschiedlicher Psychotherapieverfahren, die Kombination von Einzel- und Gruppentherapie oder auch die medikamentöse Mitbehandlung oder eine zwischenzeitliche stationäre Behandlung. Aufgrund dieser unterschiedlichen Konstellationen könne das Verfahren keine ausreichend validen und differenzierten Informationen liefern, die es ermöglichten, Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung abzuleiten. Zudem verursache es einen hohen bürokratischen Aufwand. Für die Erprobung in NRW seien für die Qualitätsindikatoren (QI) auf Basis der Leistungserbringer-Dokumentation deutliche Deckeneffekte zu erwarten, da vorrangig etablierte Standards in der Versorgungspraxis abgebildet werden. Mit Blick auf die Patientenbefragung sei zu erwarten, dass insbesondere die QI zur Therapiebeziehung und zum Therapieergebnis erhalten bleiben, obwohl auch hier bei auffälligen Ergebnissen keine konkreten Handlungsanschlüsse abgeleitet werden können. Langfristig seien erhebliche negative Auswirklungen für die Versorgungspraxis zu befürchten, beispielsweise in Form ungünstiger Anpassungsprozesse, die lediglich auf die Vermeidung von Auffälligkeiten abzielten. Auch die erhoffte Orientierung und Information von Patient*innen durch das geplante Qualitätsportal werde dies nicht leisten können, könne aber für den Therapieerfolg nachteilige negative Erwartungshaltungen auf Basis irreführender Informationen auslösen.
Im Anschluss gab Prof. Wolfgang Lutz (Universität Trier) einen Überblick über den Forschungsstand zu Feedback- und Monitoringsystemen in der Psychotherapie. Die wissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit solcher Systeme, die kontinuierlich weiterentwickelt wurden, seien inzwischen sehr umfangreich. Dabei würden die Effekte gesteigert, wenn das Feedback auch mit konkreten Vorschlägen einhergehe. Auch die Rate an Therapieabbrüchen könne gesenkt werden. In besonderer Weise würden Patient*innen profitieren, bei denen ein erhöhtes Risiko für einen ungünstigen Therapieverlauf bestehe.
Im zweiten Teil des Workshops erläuterten Dirk Heidenblut (MdB, SPD) und Alexander Föhr (MdB, CDU/CSU) ihre gesundheitspolitische Sichtweise auf das geplante QS-Verfahren und die Anforderungen an eine gesetzliche Qualitätssicherung. Heidenblut betonte dabei, wie wichtig es sei, die Patientenperspektive einzubeziehen. Die Profession müsse sich den Anforderungen der Qualitätssicherung und einer stärkeren Transparenz stellen, gegebenenfalls über eine adäquatere Alternative. Föhr betonte, dass er die Bedenken der Profession bezüglich des hohen Dokumentationsaufwandes verstehe, aber die Erprobung als gute Möglichkeit sehe, das QS-Verfahren zu verschlanken.
In der anschließenden Diskussion wurde die Sinnhaftigkeit und Aussagekraft von teilweise erst mehrere Jahre nach Therapiebeginn erhobenen und einrichtungsbezogen zurückgemeldeten QS-Daten infrage gestellt, zumal die Daten nicht auf einzelne Therapien bezogen werden könnten. Fraglich sei auch, welchen Mehrwert für Patient*innen die Veröffentlichung dieser Daten in einem Qualitätsportal haben könnte. Heidenblut machte deutlich, dass er ein Mehr an Transparenz in der psychotherapeutischen Versorgung wichtig finde. Sinnvoll erscheine ihm hier ein QS-Ansatz, der die spezifischen Wünsche und Bedarfe von psychisch erkrankten Patient*innen und das spezifische Angebot einzelner Psychotherapeut*innen abbilde. Föhr betonte, dass beim QS-Verfahren nicht Sanktionen, sondern tatsächliche Qualitätsverbesserungen im Vordergrund stehen sollten. Dies sei auch wichtig, damit ein QS-Verfahren Akzeptanz innerhalb der Profession finde.
Im dritten Teil des Workshops stellten führende Forschungsgruppen Varianten von Feedback- und Monitoringsystemen vor. Dr. Matthias Volz (Universität Kassel) präsentierte das Projekt Quality Verification Audit (QVA) und Quality System Procedure (QSP), das zunächst für psychodynamische Ausbildungsambulanzen entwickelt wurde, inzwischen aber auch in Praxen erfolgreich eingesetzt werde. Im Rahmen dieses Projekts werden auch die Instrumente des QS-Verfahrens des IQTIG einer unabhängigen Überprüfung unterzogen. Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier (Universität Greifswald) stellte gemeinsam mit Dr. Tim Kaiser (FU Berlin) das Greifswalder Psychotherapie Navigationssystem vor, das an der dortigen verhaltenstherapeutischen Ausbildungsambulanz angewendet wird. Dr. Anne-Katharina Deisenhofer (Universität Trier) erläuterte den Therapienavigator-Pro, der aus dem Trierer Therapienavigator (TTN) spezifisch für psychotherapeutische Praxen entwickelt wurde. Prof. Dr. Christina Hunger-Schoppe (Universität Witten-Herdecke) führte mit System Documentation (SYSDOK) und dem Synergetischen Navigationssystem (SNS) in zwei Ansätze des Therapiemonitorings aus der Systemischen Therapie ein. Schließlich veranschaulichte Prof. Dr. Tina In-Albon (Universität Mannheim) anhand des Projekts Koordination der Datenerhebung und -Auswertung an Forschungs-, Lehr- und Ausbildungsambulanzen für Psychotherapie (KODAP) einen Ansatz zum Monitoring in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie.
Anschließend stellte BPtK-Vorstandsmitglied Cornelia Metge die Überlegungen der BPtK zu Kernelementen eines professionseigenen QS-Ansatzes vor. Ein solcher Ansatz sollte auf der Grundlage wissenschaftlicher Evidenz entwickelt werden. Er sollte für unterschiedliche Praxistypen, Patientengruppen und Behandlungsverfahren anwendbar sein und Verbesserungen insbesondere auch für die einzelnen Behandlungen ermöglichen. Die einzelnen Psychotherapeut*innen sollten aber auch Erkenntnisse zu übergreifenden Prozessen, die in einer Praxis verbessert werden können, gewinnen. Zudem sollten individuelle Ausgestaltungsmöglichkeiten und eine optimierte Nutzung für den Einzelfall gewährleistet sein. Unverzichtbar sei auch der systematische Einbezug der Patientenperspektive. Der Monitoring- und Feedbackansatz erfülle genau diese Anforderungen, so Metge. Er sei nicht nur wissenschaftlich gut belegt, sondern werde auch zunehmend in der ambulanten Routinepraxis erfolgreich angewandt. Das Credo dabei sei: ein QS-Ansatz, aber verschiedene konkrete Modelle für unterschiedliche Therapieverfahren, Patientengruppen und Problemstellungen. Derartige Modelle existierten in Deutschland bereits in einer Breite und Variabilität, dass es für alle vier Richtlinienverfahren geeignete Varianten gebe und diese zugleich zum Beispiel nach Behandlungsschwerpunkt einer Praxis weiter angepasst werden könnten. Erforderlich werde dabei sein, Kriterien für konkrete Modelle eines Monitoring- und Feedbackansatzes zu definieren, die jeweils erfüllt sein müssten. Das beziehe sich zum Beispiel auf die individualisierte Verlaufsmessung, die Verwendung valider und verlässlicher Messinstrumente, die Erfassung einer gewissen Breite an Bereichen und Dimensionen, aber auch auf ein angemessenes Aufwand-Nutzen-Verhältnis.
Metge skizzierte eine Roadmap, wie der professionseigene QS-Ansatz entwickelt und weiter konkretisiert werden könnte. Es bedürfe eines konkreten Vorschlags, wie ein solcher QS-Ansatz im SGB V geregelt werden und die erforderliche Verbindlichkeit entfalten kann. Dies sei entscheidend, wenn man die Politik überzeugen wolle, korrigierend in den laufenden Entwicklungsprozess einzugreifen, das bestehende QS-Modell und die Erprobungsphase zu stoppen und auf gesetzlicher Ebene die Weichen für einen neuen, zukunftsweisenden Ansatz der QS in der Psychotherapie zu stellen.
Den Abschluss des Workshops bildete eine Diskussion, in der es insbesondere um die Implikationen ging, die die Einführung von Feedback- und Monitoringsystemen in die ambulante Versorgung mit sich bringen und wie professionsseitig die Evaluation des gesetzlich beauftragten QS-Verfahrens begleitet oder mitgestaltet werden könnte. Einige Diskutant*innen betonten, dass es keinen idealtypischen Verlauf einer Psychotherapie gebe und aus den Daten nicht direkt die jeweilige Qualität der Behandlung abgeleitet werden könne. Auffälligkeitssignale in der Anwendung von Monitoring- und Feedbacksystemen sollten von Psychotherapeut*innen daher stets mit Blick auf den individuellen Behandlungsfall eingeschätzt werden. Hinsichtlich der vorgesehenen Evaluation des IQTIG-Verfahrens sprachen sich einzelne Diskussionsteilnehmer*innen dafür aus, sie nicht allein dem IQTIG zu überlassen. Zugleich gab man zu bedenken, dass eine vornehmliche Fokussierung auf eine gegebenenfalls unabhängige zusätzliche Evaluation des QS-Verfahrens zur Folge hätte, dass Ergebnisse aus einem solchen Projekt möglicherweise erst ab 2030 vorlägen und damit zu spät kämen, um in der kommenden Legislaturperiode des Deutschen Bundestages gegenüber der Politik die Notwendigkeit einer Gesetzesänderung begründen zu können.
In ihren Schlussworten prognostizierte BPtK-Präsidentin Dr. Andrea Benecke, dass die geplante Evaluation der sechsjährigen Erprobung des QS-Verfahrens Ambulante Psychotherapie trotz der unverkennbaren Schwächen nicht zu einer Abschaffung des QS-Verfahrens führen werde. Wahrscheinlicher sei, dass das QS-Verfahren des IQTIG gekürzt, der Dokumentationsaufwand reduziert und gegebenenfalls die Validität der verbleibenden Qualitätsindikatoren nachgebessert werde. Es drohe, so Benecke, ein erkennbar dysfunktionales QS-Verfahren, das die psychotherapeutische Versorgung für lange Zeit in negativer Weise prägen werde. Um dieses Grundproblem zu beheben, sei eine Gesetzesänderung erforderlich. Diese werde es aber nur geben, wenn die Profession der Politik eine überzeugende Alternative aufzeigen könne. Benecke warb dafür, sich jetzt auf den Weg zu machen, diese Alternative weiter zu konkretisieren, um frühzeitig in der kommenden Legislaturperiode mit dem Vorschlag für einen geeigneten professionseigenen QS-Ansatz an die neue Bundesregierung herantreten zu können.
Veröffentlicht am 01. April 2025