Deutscher Psychotherapeutentag
46. Deutscher Psychotherapeutentag in Leipzig
Der 46. Deutsche Psychotherapeutentag (DPT) am 16. und 17. Mai in Leipzig stand im Zeichen großer gesellschaftlicher und gesundheitspolitischer Herausforderungen. In ihrer Eröffnungsrede betonte die Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) Dr. Andrea Benecke die besondere Bedeutung des Koalitionsvertrags der neuen Bundesregierung:

Erstmals habe die Bundesregierung der Psychotherapie ein eigenes Unterkapitel gewidmet. Dies sei ein politischer Durchbruch, den die Profession durch gemeinsame Kraftanstrengungen mitgestalten könne. Die Bundesregierung habe sich viel vorgenommen, um die psychische Gesundheit der Menschen umfassend zu stärken – von der Prävention und Früherkennung über die Versorgung und Fachkräftesicherung bis hin zur Digitalisierung und Entbürokratisierung. Entscheidend sei jetzt die Umsetzung. Die Politik brauche nun Mut und Fokus, damit sich auch künftige Generationen auf eine gesicherte psychotherapeutische Versorgung verlassen können.
Eckpfeiler Versorgung, Direktzugang, Prävention und Digitalisierung
Benecke verwies auf die zentralen Versorgungsprobleme, die jetzt angegangen werden müssten: die separate Bedarfsplanung für Kinder und Jugendliche, eine Reform der psychotherapeutischen Versorgung im ländlichen Raum sowie die dringend notwendige Finanzierung der Weiterbildung.
Als weiteren Schwerpunkt benannte die BPtK die Rolle der Psychotherapeut*innen in der Steuerung der Patientenversorgung. Mit der psychotherapeutischen Sprechstunde sei eine zentrale Struktur etabliert worden, die sich bewährt habe. Es sei völlig illusorisch, dass die diagnostische Abklärung bei über 600.000 Patient*innen, die jedes Quartal in der psychotherapeutischen Sprechstunde vorstellig werden, von jemand anderem im Versorgungssystem sinnvoll geleistet werden könnte als von Psychotherapeut*innen.
Ein weiteres zentrales Anliegen sei die Prävention: Psychische Gesundheit müsse ressortübergreifend gedacht und gefördert werden – in Bildung, Arbeitswelt und Familie. Der Koalitionsvertrag gebe hier richtungsweisende Ziele vor. Diese wolle die Profession mit einer eigenen Präventionsstrategie eng begleiten.
Auch die Digitalisierung im Gesundheitswesen bleibe ein Kernthema der BPtK-Arbeit, bei der Zukunftsthemen, wie die Künstliche Intelligenz in der Psychotherapie, mit einer „Digitalen Agenda 2030“ professionsintern und in enger Zusammenarbeit mit den Landeskammern beraten sowie Empfehlungen und Positionen entwickelt werden sollen. Dr. Benecke betonte, Ziel sei es, die Digitalisierung patientenzentriert, ethisch fundiert und praktisch nutzbar zu gestalten. Das sei etwa auch beim Einsatz der elektronischen Patientenakte weiterhin ein zentrales Anliegen. Benecke hob die erreichten Verbesserungen im Datenschutz für Kinder und Jugendliche hervor, mahnte aber dringenden weiteren Handlungsbedarf an.
Dr. Benecke bat Dr. Ben Möbius, Geschäftsführer der BPtK, darum, den konkreten Projektplan für die „Digitale Agenda 2030“ vorzustellen. Der Projektplan und darin vorgesehene zeitliche Meilensteine wurden mit Zustimmung zur Kenntnis genommen.
In der anschließenden Aussprache stellte sich die Profession geschlossen hinter das Ziel, die psychotherapeutische Versorgung zukunftsfest zu gestalten, und erkannte die gesellschaftspolitische Verantwortung an, die mit dem neuen Koalitionsvertrag verbunden ist.
Kernforderung: Finanzierung der Weiterbildung sichern
Es sei ein wichtiger Erfolg, dass die sichere Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung erstmals im Koalitionsvertrag einer Bundesregierung festgehalten wurde, konstatierte BPtK-Präsidentin Benecke. Jetzt bräuchten alle Beteiligten eine klare Perspektive. Die wenigen Weiterbildungsstellen, die es heute schon gibt, stünden in überhaupt keinem Verhältnis zum Bedarf. Angesichts steigender psychischer Erkrankungen und eines sich verschärfenden Fachkräftemangels forderte die Präsidentin eine rasche Umsetzung des Koalitionsvertrags. Der Bedarf an Psychotherapie werde bis 2030 weiter steigen, während gleichzeitig viele Psychotherapeut*innen in den Ruhestand treten – die Versorgungslücke drohe, noch größer zu werden.
In der Debatte machten Vertreter*innen der Studierenden und der Psychotherapeut*innen in Weiterbildung auf die große Unsicherheit aufmerksam, wie es für sie nach Studium und Approbation weitergehe. Das Ziel der neuen Regierungskoalition, die Weiterbildungsfinanzierung zu sichern, sei ein großer Erfolg und zeige, dass die Nöte der Studierenden gehört worden seien. Jetzt kämpfe man hoffnungsvoll und mit großem Einsatz weiter, damit die notwendigen Regelungen getroffen werden, und zähle dabei auf die Unterstützung der Profession.
Vertreter*innen potenzieller Weiterbildungsstätten wiesen auf spezifische Problemlagen hin, falls es nicht rasch gesetzliche Lösungen zur Finanzierung gebe. So werde es in vielen Kliniken ohne eine gesetzliche Zwischenlösung erst dann eine ausreichende Zahl an Weiterbildungsstellen geben, wenn es keine Ausbildungsteilnehmer*innen der alten Qualifizierung mehr gebe, die dort im Sinne eines Praktikums ihr Psychiatriejahr absolvieren. Erst dann seien die Kliniken zur Sicherung der Versorgung auf Psychotherapeut*innen in Weiterbildung angewiesen, die sie dann auch tariflich bezahlen müssten.
Die Debatte machte deutlich, dass die verlässliche Finanzierung der Weiterbildung der Schlüssel gegen den drohenden Fachkräftemangel und die Sicherung der Versorgung sei. Nächste Etappenziele seien nun, mit den neuen politischen Akteur*innen ins Gespräch zu kommen und sie von den Lösungsvorschlägen der Profession zu überzeugen. Nur mit der Gewissheit einer ausreichenden Finanzierung, die Psychotherapeut*innen in Weiterbildung ein angemessenes Gehalt sichert und auch die weiteren Kosten der Weiterbildung abdeckt, werde es genügend Kolleg*innen und andere Verantwortliche in Krankenhäusern, Ambulanzen und Praxen geben, die Weiterbildungsstellen schaffen werden. Eine Gesetzesänderung zur Finanzierung der Weiterbildung habe deshalb jetzt höchste Priorität.
Qualitätssicherung muss der Versorgung dienen
Das QS-Verfahren ambulante Psychotherapie nach der DeQS-Richtlinie, das derzeit in NRW erprobt wird, steht stark in der Kritik. BPtK-Vizepräsident Dr. Nikolaus Melcop erläuterte, dass der im Krankenhausbereich entwickelte Ansatz der datengestützten Qualitätssicherung für die ambulante Psychotherapie grundsätzlich ungeeignet sei. Die Patient*innen seien viel zu heterogen hinsichtlich Diagnose, Schweregrad der Erkrankung, Behandlungsdauer und Komorbidität. Die Behandlungen variierten stark, auch aufgrund von Kombinationen medikamentöser Behandlung, Gruppentherapien oder anderen Versorgungsangeboten. Die Fallzahlen seien zu gering. Rückmeldungen aus Patientenbefragungen erfolgten zeitlich stark verzögert, anonymisiert und ohne Bezug zu konkreten Fällen. Weder könne die einzelne Behandlung davon profitieren, noch ließen sich Erkenntnisse ableiten, bei welchen Patientengruppen psychotherapeutische Prozesse gegebenenfalls angepasst werden sollten. Auch die Leistungserbringer-Dokumentation erzeuge lediglich einen hohen bürokratischen Aufwand, ohne dass daraus relevante Erkenntnisse für die Praxis resultierten. Die Defizite und die fehlende Eignung der Instrumente seien von Expert*innen, Fachgremien und selbst Kostenträgern wiederholt benannt worden. Melcop forderte: „Angesichts der nicht veränderbaren Defizite des QS-Verfahrens braucht es eine klare Korrektur des gesetzlichen Auftrags. Die Politik muss die gesetzliche Regelung zu dem QS-Verfahren ambulante Psychotherapie streichen und die Erprobung umgehend beenden!“
Andreas Pichler, Präsident der Psychotherapeutenkammer NRW, berichtete eindrücklich von der Belastung, die das QS-Verfahren in der Praxis verursacht. Die Dokumentationspflichten seien zeitintensiv und kosteten wertvolle Zeit, die der Behandlung fehle. Auch fehle noch immer eine Vergütungsregelung, mit der die Kosten für die QS-Software und die zusätzlichen Dokumentationspflichten kompensiert werden. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an die Zusage der neuen Bundesregierung, bürokratische Belastungen im Gesundheitswesen konsequent abzubauen. Dieses Versprechen müsse beim QS-Verfahren eingelöst werden.
Dr. Matthias Volz von der Universität Kassel stellte in seinem Vortrag den aktuellen Forschungsstand zu Monitoring- und Feedbackansätzen vor. Solche Ansätze berücksichtigten systematisch die Perspektive der Patient*innen und seien für verschiedene Verfahren, Settings und Patientengruppen entwickelt und wissenschaftlich evaluiert worden und für diese geeignet. Der Fokus liege auf der internen Qualitätssicherung, dysfunktionale und irreführende Einrichtungsvergleiche würden verhindert. Beispiele wie das QVA/QSP-Projekt zeigten, dass die Nutzung dieser Ansätze auch wirtschaftlich darstellbar ist. Sie stärkten die professionelle Autonomie, indem sie inhaltlich an der Versorgung und nicht an Kontrolllogiken orientiert sind.
BPtK-Vorstandsmitglied Cornelia Metge erläuterte im Anschluss, wie sich daraus ein für die Politik überzeugender, evidenzbasierter Alternativvorschlag ableiten ließe. Seit vielen Jahren diskutiere die BPtK gemeinsam mit Landespsychotherapeutenkammern, Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen alternative Modelle der Qualitätssicherung. Monitoring- und Feedbacksysteme böten dabei ein belastbares Fundament für eine evidenzbasierte, versorgungsnahe und differenzierte Qualitätssicherung in der Psychotherapie. Die Heterogenität der Systeme, die individuellen Ausgestaltungsmöglichkeiten und der Fokus auf die interne Qualitätssicherung, die den einzelnen Patient*innen direkt zugutekomme, seien zentrale Elemente, die diesen QS-Ansatz praxistauglich machten und sich von der Logik der DeQS-Richtlinie deutlich abgrenzten. Die Profession sei nun in der Verantwortung, frühzeitig Vorstellungen für tragfähige Alternativen zu entwickeln. Nicht erst 2031, sondern jetzt. Dies solle – im nächsten Schritt – im Rahmen eines breiten internen Beratungsprozesses, zu dem neben einem Workshop ein professionsweites Onboarding gehört, das Informationen, Schulung und Partizipation sichert, weiter präzisiert werden und in einer Richtungsentscheidung auf dem 47. Deutschen Psychotherapeutentag münden.
In der anschließenden Debatte kritisierten die Delegierten den fehlenden Nutzen des QS-Verfahrens für die psychotherapeutischen Behandlungen und den enormen Zeitaufwand, der in den Praxen, aber auch in den anderen beteiligten Einrichtungen sowie den Fachkommissionen entstehe. Die Darstellung der Monitoring- und Feedbackansätze und der damit verbundene Fokus auf wirksame Maßnahmen der internen Qualitätssicherung, die der einzelnen Patientenbehandlung nützen, fand dagegen Anklang bei den Delegierten. Die Delegierten betonten die Notwendigkeit, die Qualitätssicherung in der Psychotherapie wieder in die eigene Hand zu nehmen und selbst auszugestalten. Sie begrüßten die Initiative des BPtK-Vorstands, einen professionseigenen QS-Ansatz als Alternative zu entwickeln, und forderten den Vorstand auf, schon jetzt mit der Politik zu sondieren, ob und unter welchen Voraussetzungen die Politik bereit sei, den gesetzlichen Auftrag zu streichen.
Psychosoziale Notfallversorgung stärken – Psychotherapeut*innen vorbereitet in Krisenfällen
Naturkatastrophen, Attentate und eine veränderte sicherheitspolitische Lage zeigen deutlich: Der Zivil- und Katastrophenschutz gewinnt auch für die Psychotherapeutenschaft an Bedeutung. „Psychotherapeut*innen sind im Krisenfall Teil des Katastrophenschutzes – und dieser wiederum ist integraler Bestandteil des Zivilschutzes“, betonte BPtK-Vizepräsidentin Sabine Maur. Der gesundheitliche Bevölkerungsschutz müsse gestärkt werden. Psychotherapeut*innen nähmen hierbei eine zentrale Rolle ein. Es gehe schon lange nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie, Wo und Wann der Beteiligung. Die Profession sei gefordert, Verantwortung zu übernehmen – koordiniert, qualifiziert und flächendeckend.
Die Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 habe gezeigt, dass Psychotherapeut*innen im Ernstfall schnell reagieren können. Die Profession ist handlungsfähig. Über bestehende Kontakte, etwa zum Opferbeauftragten des Landes und der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz konnten in kurzer Zeit psychotherapeutische Sprechstunden organisiert und über eine Hotline vermittelt sowie Gruppenangebote für Betroffene und Fachkräfte vor Ort umgesetzt werden. Doch es fehlten strukturierte Abläufe, verbindliche Zuständigkeiten und ein geregelter Übergang in die Regelversorgung. Das sei ein zentrales Problem beispielsweise für Patient*innen mit Traumafolgestörungen, die auf psychotherapeutische Unterstützung angewiesen sind. „Bis heute gibt es keine verlässliche Schnittstelle zwischen der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) und dem regulären Gesundheitssystem“, mahnte Maur. Notwendig seien klare Informationswege, bekannte Ansprechpartner*innen und rechtssichere Regelungen – zum Beispiel für die Behandlung an alternativen Orten, wenn Praxen nicht nutzbar sind.
Ein gelungenes Beispiel gut koordinierter psychosozialer Versorgung zeigte sich nach dem Attentat auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg am 20. Dezember 2024. Dr. Sabine Ahrens-Eipper, Vizepräsidentin der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer (OPK), berichtete von der erfolgreichen Zusammenarbeit – insbesondere mit Kassenärztlichen Vereinigungen, Unfallkassen und Ministerien. So konnten allen Betroffenen rasch Behandlungsplätze angeboten werden. Schulen und Kitas wurden aktiv einbezogen. Ein entscheidender Vorteil: die länderübergreifende Struktur der OPK. „Krisen machen nicht an Ländergrenzen halt – Versorgung darf es auch nicht“, so Ahrens-Eipper. Ziel müsse daher sein, in allen Bundesländern ein vergleichbares Niveau an PSNV-Strukturen zu etablieren. Nur so könne professionelle Hilfe schnell, abgestimmt und wirksam erfolgen.
Die BPtK engagiert sich deshalb auf mehreren Ebenen: Eine interministerielle Arbeitsgruppe im Bundesgesundheitsministerium arbeitet derzeit an einer zukunftsfähigen Ausgestaltung des Bevölkerungsschutzes. Die BPtK bringt sich aktiv ein – mit dem Ziel, die Rolle von Psychotherapeut*innen strukturell zu verankern – mit klaren Zuständigkeiten, angepassten Versorgungskonzepten und gesicherter Finanzierung. Auch die Bundeswehr habe in Krisenfällen Bedarf an ziviler Unterstützung. Ein handlungsfähiges Gesundheitssystem, das auch unter Extrembedingungen funktioniert, sei Teil gesamtgesellschaftlicher Resilienz und auch verteidigungspolitischer Abschreckung.
In der anschließenden Diskussion bekräftigten die Delegierten, dass die Profession sich aktiv in den Zivil- und Katastrophenschutz einbringen und die Aktivitäten intensivieren muss, um tragfähige kammerübergreifende Konzepte zu entwickeln. Die BPtK hat vor diesem Hintergrund bereits eine „Plattform Psychosoziale Notfallversorgung“ zum Austausch und zur Zusammenarbeit mit den Landeskammern gegründet.
Den ausführlichen Bericht zum DPT finden Sie auf unserer Webseite unter: https://www.bptk.de/psychotherapeutentag/46-deutscher-psychotherapeutentag/
Veröffentlicht am 30. Juni 2025