Psychotherapeutische Versorgung
Direktzugang zur Psychotherapie sichern
Die Diskussion um ein Primärarztsystem hat in den vergangenen Wochen immer größere Wellen geschlagen. Der Koalitionsvertrag hat ein verpflichtendes Primärarztsystem zum Ziel erklärt. Welche Umsetzungspläne und konkrete Konzeption das Bundesgesundheitsministerium verfolgt, ist bislang jedoch unklar. Im Raum steht die Frage, ob und in welchen Konstellationen Patient*innen künftig erst über hausärztliche Praxen Zugang zur Facharztbehandlung erhalten sollen.
Für die Gynäkologie und die Augenheilkunde wurden im Koalitionsvertrag explizit Ausnahmen vom Hausarztvorbehalt festgehalten. Verschiedene Konzepte stehen nun im Raum: die hausarztzentrierte Versorgung, bei der die Steuerung über Allgemeinmediziner*innen und Kinderärzt*innen erfolgen soll, oder eine breitere Verteilung der Steuerungskompetenz auf verschiedene grundversorgende Arztgruppen.
Aber wie verhält es sich für die Psychotherapie? Der Koalitionsvertrag verortet die psychotherapeutische Versorgung in einem separaten Kapitel – unabhängig von der Frage des Primärarztsystems. Die Stärkung der psychotherapeutischen Versorgung in der Fläche und in Akutsituationen ist das erklärte Ziel. Für die Bundespsychotherapeutenkammer steht ganz klar fest: Gerade dafür muss der Direktzugang zur psychotherapeutischen Versorgung erhalten bleiben. Alles andere wäre ein Rückschritt – sowohl für Patient*innen als auch für das Versorgungssystem insgesamt.
Psychotherapie muss direkt erreichbar bleiben
Psychotherapeut*innen sind für viele Menschen mit psychischen Beschwerden die ersten und zentralen Ansprechpartner*innen. Mit der Einführung der psychotherapeutischen Sprechstunde wurde ein wirksamer, niedrigschwelliger und wohnortnaher Zugang geschaffen. Hier erhalten Patient*innen eine qualifizierte diagnostische Abklärung und eine fundierte Empfehlung, welche Behandlungsform – Psychotherapie, medikamentöse Mitbehandlung, Soziotherapie oder Selbsthilfe – in ihrem Fall sinnvoll ist.
Jedes Quartal nutzen rund 600.000 Menschen dieses Angebot. Nur etwa die Hälfte von ihnen beginnt eine Richtlinienpsychotherapie – die andere Hälfte wird niedrigschwellig beraten und versorgt oder je nach Bedarf weitervermittelt. Diese Form der differenzierten Patientensteuerung ist effizient, zielgerichtet und entlastet das Gesundheitssystem.
Verpflichtende hausärztliche Steuerung: fachlich und strukturell nicht geeignet
Die Idee, die Steuerung psychisch belasteter Menschen über Hausärzt*innen vorzunehmen, überzeugt weder fachlich noch organisatorisch. Hausärzt*innen sind nicht auf psychische Störungen spezialisiert, stehen unter hohem Zeitdruck und sind vielerorts bereits überlastet. Ein vorgeschalteter Besuch in der Hausarztpraxis würde die Versorgung nicht verbessern, sondern verzögern, Doppeldiagnostik erzeugen und Hürden für Patient*innen erhöhen.
Ein klares Signal kommt auch aus der Selbstverwaltung: Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hat jüngst beschlossen, dass psychotherapeutische Behandlungen weiterhin ohne Überweisung zugänglich bleiben müssen. Die BPtK begrüßt diese Position ausdrücklich. Menschen mit psychischen Erkrankungen benötigen keine vorgeschaltete Steuerung– die Psychotherapeut*innen selbst sind die kompetenten Lotsen in der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Direktzugang gesetzlich absichern
Die psychotherapeutische Sprechstunde funktioniert – für Patient*innen, für das System und für eine zielgerichtete Versorgung. Der direkte Zugang von Patient*innen zur Psychotherapie muss erhalten und gesetzlich weiterhin abgesichert bleiben. Gleichzeitig braucht es eine Erweiterung der Steuerungsmöglichkeiten von Psychotherapeut*innen – etwa durch Überweisungsbefugnisse und die Befugnis, Arbeitsunfähigkeit bei psychischen Erkrankungen zu bescheinigen.
Die BPtK setzt sich auf allen Ebenen dafür ein, dass der Direktzugang zur Psychotherapie nicht dem apodiktischen Prinzip einer hausärztlichen Zuweisung geopfert wird. Die Versorgung psychisch erkrankter Menschen darf nicht ausgebremst werden – im Gegenteil: Sie muss gestärkt, niedrigschwellig gestaltet und weiterentwickelt werden.
Veröffentlicht am 30. Juni 2025