Gesundheitspolitik
Psychische Gesundheit bekommt politisches Gewicht
Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik widmet ein Koalitionsvertrag der Psychotherapie ein eigenes Unterkapitel. Das allein ist ein politischer Meilenstein mit Signalwirkung.
Die psychische Gesundheit erlangt damit denselben Stellenwert wie andere gesundheitspolitische Themen, etwa die Krankenhausversorgung, die Digitalisierung und die Gesundheitswirtschaft. Das ist ein Schritt, der zeigt: Die Bundesregierung erkennt den gesellschaftlichen Handlungsdruck.
Der Koalitionsvertrag ist mehr als ein Versprechen. Er ist ein Auftrag
Die Aufnahme eines eigenen Kapitels zur Psychotherapie ist kein Zufall, sondern auch das Ergebnis beharrlicher, gut begründeter politischer Arbeit der Profession. Die drei Kernforderungen – die separate Bedarfsplanung für Kinder und Jugendliche, die gezielte Stärkung der psychotherapeutischen Versorgung für Menschen auf dem Land sowie die sichere Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung – haben Eingang in den Vertrag gefunden. Die Politik hat verstanden, dass die Herausforderungen groß sind und endlich angegangen werden müssen. Psychische Gesundheit ist ein Thema, an dem man nicht vorbeikommt.
Fokus junge Menschen und Prävention
Besonderes Augenmerk legt die Koalition auf Kinder und Jugendliche. Mit der geplanten Strategie „Mentale Gesundheit für junge Menschen“ sollen die Prävention und die Früherkennung psychischer Belastungen und Erkrankungen verbessert werden. Darüber hinaus soll eine Strategie „Kinder- und Jugendschutz in der digitalen Welt“ entwickelt werden, mit der die digitale Welt für Minderjährige sicher ausgestaltet werden kann. Das sind zwei zentrale Bausteine, die bei einer politikfeldübergreifenden Ausarbeitung die notwendigen Leitplanken für ein psychisch gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen setzen können.
Aber auch die Frühen Hilfen sollen ausgebaut werden: In einem Modellprojekt sollen zukünftig auch Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren und ihre Eltern unterstützt werden. Auch das Suizidpräventionsgesetz steht auf der politischen Agenda, ebenso wie Maßnahmen gegen Alltagssüchte und die kritische Evaluation des Cannabisgesetzes.
Versorgung modernisieren, Digitalisierung nutzen
Der Koalitionsvertrag zeigt auch: Es geht nicht nur um das Ob, sondern um das Wie. Im Fokus steht die Einführung eines Primärarztsystems, das derzeit in der gesundheitspolitischen Landschaft schon intensiv debattiert wird. Dabei ist klar: Die Einführung eines Primärarztsystems darf nicht zum Rückschritt für die psychotherapeutische Versorgung führen. Der Direktzugang und die Steuerung der Patient*innen über die psychotherapeutische Sprechstunde haben sich bewährt. Dieser Zugang muss erhalten bleiben.
Die dringend notwendige Reform der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in psychiatrischen Kliniken findet im Koalitionsvertrag dagegen keinen Platz. Klar aber ist: Die stationäre psychotherapeutische Versorgung muss in dieser Legislatur auf die politische Agenda. Denn auch die Versorgung in den Psychiatrien muss für Patient*innen dringend vorangebracht werden.
Im Bereich Digitalisierung setzt die Regierung weiter auf Ausbau – von Online-Beratung in der Psychotherapie über Videosprechstunden bis hin zu den Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). Die elektronische Patientenakte (ePA) bleibt das Herzstück. Ein weiteres Vorhaben ist die Entlastung von unnötiger Bürokratie. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz, etwa bei der Behandlungsdokumentation, soll dabei helfen. Das klingt vielversprechend und wird sich daran messen lassen müssen, ob es echte Verbesserungen für den Praxisalltag bringt.
Auf Krisenzeiten besser vorbereitet sein
Die Zeiten sind unsicher. Das Gesundheitswesen muss resilienter werden. Deshalb hat die Koalition als Kernprojekt vereinbart, den gesundheitlichen Zivil- und Katastrophenschutz neu zu ordnen. Feste Zuständigkeiten sollen definiert werden. Ob bei Naturkatastrophen oder möglichen Großschadensereignissen angesichts einer veränderten sicherheitspolitischen Lage – es geht darum, sowohl die somatische Versorgung als auch die Psychosoziale Notfallversorgung für die Bevölkerung sicherzustellen.
Die Richtung stimmt – jetzt kommt es auf das Tempo an
Der Koalitionsvertrag ist ein gutes Fundament. Er bietet die Chance, psychische Gesundheit nachhaltig und strukturell zu stärken. Aber Ankündigungen allein reichen nicht. Jetzt müssen die Zielvereinbarungen umgesetzt werden. Mit Gesundheitsministerin Nina Warken hat Bundeskanzler Friedrich Merz eine profilierte Juristin und erfahrene Bundespolitikerin ins Amt gehoben. Sie übernimmt Verantwortung für ein Politikfeld, bei dem es in den kommenden Jahren auf gute Lösungen ankommt, damit die Gesundheitsversorgung und deren Finanzierung für alle Menschen flächendeckend sichergestellt bleibt. Das ist gewiss keine leichte Aufgabe. Aber es geht um die Daseinsvorsorge. Mit den Parlamentarischen Staatssekretären Tino Sorge und Dr. Georg Kippels stehen der Ministerin zwei erfahrene Gesundheitspolitiker zur Seite.
Gesundheitsausschuss mit neuen Gesichtern
Im Gesundheitsausschuss des Bundestags zeigt sich zu Beginn der neuen Legislaturperiode ein deutlich verändertes Bild: Von den 38 ordentlichen Ausschussmitgliedern waren nur elf Mitglieder bereits in der vergangenen Legislatur als Gesundheitspolitiker*innen aktiv, darunter die gesundheitspolitischen Sprecher*innen Simone Borchardt (CDU), Dr. Christos Pantazis (SPD) und Dr. Janosch Dahmen (Grüne). Für die psychische Gesundheit bleibt Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) Berichterstatterin ihrer Fraktion. Mit Pascal Reddig (CDU), Stefan Schwartze (SPD) und Evelyn Schötz (Die Linke) übernehmen neue engagierte Politiker*innen dieses Themenfeld. Diese Veränderungen eröffnen die Chance für frische Impulse und neue Perspektiven, um zentrale gesundheitspolitische Anliegen, darunter die Herausforderungen im Bereich der psychischen Gesundheit, konstruktiv und gemeinschaftlich zu meistern.
Veröffentlicht am 30. Juni 2025