Prävention
GHG und BIPAM – Wie man Prävention zu kurz denken kann
Das Bundesgesundheitsministerium hat in diesem Sommer zwei Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht. Der darin zugrundeliegende Präventionsgedanke hat viel Kritik aus dem Gesundheitswesen provoziert. Ob die Vorhaben – auch im Hinblick auf den klammen Haushalt – verabschiedet werden, bleibt unklar.
Die große Debatte um die Finanzierung und Investitionen in die deutsche Infrastruktur hat nicht vor der Gesundheitspolitik Halt gemacht. Nach Einbringung des Bundeshaushalts im September hat der Bundestag leidenschaftlich darüber gestritten, welche Maßnahmen im notorisch unterfinanzierten Gesundheitswesen stemmbar sind. Bei den Lösungsvorschlägen war das Schlagwort „Prävention“ über die Fraktionen hinweg zu hören: Jeder Euro, der heute in der Prävention ausgegeben werde, spare morgen ein Vielfaches bei der Intervention. Wie das Zukunftsthema Prävention ausgestaltet und angegangen werden soll, darüber sind sich die Parlamentarier*innen allerdings uneins.
In der Zwischenzeit hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) zwei strittige Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht, die ein anachronistisches Verständnis von Prävention und Gesundheitsförderung offenbaren.
Das Gesunde-Herz-Gesetz (GHG) umfasst Maßnahmen, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen sollen. Neben Früherkennung mit Massenscreenings für Kinder, Jugendliche und Erwachsene fokussiert sich der Gesetzentwurf im Kern auf die medikamentöse Prävention. So soll es einen gesetzlichen Anspruch auf die Versorgung mit Lipidsenkern und gesetzliche Regelungen zur medikamentösen Behandlung bei Tabakabhängigkeit geben. Das hat Karl Lauterbach viel Kritik aus dem Gesundheitswesen eingebracht. Denn verhältnispräventive Maßnahmen, die zu gesunden Lebensstilen und damit zu einer verbesserten Herzgesundheit der Bevölkerung führen, werden im Gesetzentwurf nicht angegangen. Auch Faktoren wie Stress oder psychische Erkrankungen, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen befördern, bleiben unbeachtet. Finanziert werden sollen die Maßnahmen, indem Mittel für Gesundheitskurse der Krankenkassen umgeschichtet werden. Folglich sind zugunsten der medikamentösen Prävention Kursangebote zur Bewegungsförderung, Ernährungsberatung, Stressbewältigung oder Suchtprävention künftig gefährdet.
Mit dem Gesetz zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit sollen die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und Teile des Robert Koch-Instituts (RKI) in einem Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) aufgehen. Die Benennung hat im Gesundheitswesen für Unmut gesorgt, denn sie schränkt den Präventionsgedanken auf Vorbeugemedizin ein. Die gesundheitspolitische Debatte ist allerdings schon weiter: Gesundheit ist eine Querschnittsaufgabe, die in allen Lebensbereichen wahrgenommen werden muss. Im Sinne eines Public-Health-Ansatzes dürfen zudem nicht nur einzelne Erkrankungen, sondern müssen sozioökonomische und strukturelle Faktoren, die gesundheitliche Chancengerechtigkeit befördern, in den Blick genommen werden, um die Gesundheit der gesamten Bevölkerung zu erhalten oder zu stärken.
Beide Gesetzesvorhaben stoßen auf Vorbehalte der Fraktionen im Bundestag, auch wegen der erwarteten Kosten. So würde allein die medikamentöse Behandlung bei Tabakabhängigkeit im GHG zusätzliche Kosten im dreistelligen Millionenbereich verursachen. Für das Gesetz zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit sind noch keine Mittel im Haushaltsplan für 2025 aufgeführt, obwohl die Gesetzesänderung im Januar 2025 in Kraft treten soll. Beide Vorhaben sollen parallel im November im Bundestag behandelt werden und zum Jahresende den Bundesrat passieren. Gleichzeitig müssten aufgrund der Schuldenbremse 2,5 Milliarden Euro im Bundeshaushalt eingespart werden. Wie dieser Spagat zu meistern ist, bleibt offen.
Veröffentlicht am 10. Oktober 2024