Europa
Frankreich setzt Schwerpunkt auf psychische Gesundheit
Die psychische Gesundheit findet auch in der französischen Politik immer mehr Beachtung. Der inzwischen zurückgetretene französische Premierminister Michel Barnier und seine Regierung hatten deshalb das Jahr 2025 unter das Motto „Psychische Gesundheit stärken“ gestellt.
Vor diesem Hintergrund hatte die französische Botschaft in Berlin am 24. Oktober zu einem Gedankenaustausch mit einer Delegation französischer Senator*innen aus ländlich geprägten Departements eingeladen, um über Herausforderungen der psychotherapeutischen Versorgung und Lösungen zu sprechen.
Gesundheitsversorgung als gemeinsame Herausforderung
Die Corona-Pandemie, aber auch die Polarisierung der französischen Gesellschaft und ungleiche Lebensverhältnisse in der Stadt und auf dem Land belasten die Psyche der französischen Gesellschaft. Immer deutlicher wird, dass Gesundheitsversorgung vor Ort das zentrale Thema ist, das die Menschen interessiert und auch sorgt. Der demografische Wandel und der zunehmende Mangel an Fachkräften führten dazu, dass regionale Versorgungsangebote wegbrächen und für Patient*innen der Zugang zur Behandlung nicht mehr gesichert ist. Herausforderungen, die zunehmend auch in Deutschland die Debatten bestimmen und für die Lösungen gesucht werden.
Im Mittelpunkt des deutsch-französischen Austauschs stand daher die Frage, wie die psychische Gesundheit gestärkt und eine Versorgung vor Ort gewährleistet werden kann.
Gesundheitsversorgung als Daseinsvorsorge ist in Frankreich nicht mehr nur ein Thema der Gesundheitspolitik, sondern auch der Raumplanung und der nachhaltigen Entwicklung. Deshalb war es für die Delegierten besonders interessant zu erfahren, wie die Versorgung psychisch kranker Menschen in Deutschland ausgestaltet ist. Im Fokus stand dabei die Frage, wie die psychotherapeutische Versorgung flächendeckend, insbesondere auch auf dem Land oder in strukturschwachen Regionen, sichergestellt werden kann und welchen Beitrag die Bedarfsplanung dazu leisten kann.
Bedarfsplanung als Modell für Frankreich?
BPtK-Präsidentin Dr. Andrea Benecke und BPtK-Vorstandsmitglied Cornelia Metge standen den Delegierten aus Frankreich Rede und Antwort.
Grundsätzlich könnte die Bedarfsplanung ein sinnvolles Instrument sein, ziele sie doch darauf ab, den Zugang zur Versorgung flächendeckend sicherzustellen. Das Problem in Deutschland sei aber, dass sich die Bedarfsplanung nicht an dem realen Versorgungsbedarf orientiere, sondern auf alten Daten beruhe und nur begrenzt angepasst wurde. Dies spiegele sich auch in den langen Wartezeiten auf einen psychotherapeutischen Behandlungsplatz, insbesondere auf dem Land, in strukturschwachen Regionen oder bei Kindern und Jugendlichen, wider. Wichtig sei deshalb, dass strukturelle Hürden abgebaut werden, um die ungleiche Versorgung von Stadt und Land, wo die Menschen nicht seltener psychisch erkranken, zu überwinden. Dazu gehört auch, die historischen Webfehler in der Bedarfsplanung zu korrigieren, und dem gestiegenen Versorgungsbedarf in der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Idealerweise sollte eine Bedarfsplanung anhand verschiedener Indikatoren erfolgen, um eine Unter-, aber auch Überversorgung zu vermeiden. Sie sollte die Prävalenz, die prognostizierte Inanspruchnahme, Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz und auch regionale Besonderheiten berücksichtigen. Die BPtK fordere deshalb, dass die Bedarfsplanung reformiert wird. Zwei Stellschrauben seien dafür zentral: Erstens eine eigene Bedarfsplanung für die psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen, um den spezifischen Versorgungsbedürfnissen und -bedarfen von Heranwachsenden gerecht zu werden und die Versorgung für diese Patientengruppe kleinräumiger und in Wohnortnähe zu planen. Zweitens eine Absenkung der Verhältniszahlen um mindestens 20 Prozent, damit gezielt zusätzliche Kassensitze auf dem Land, im Ruhrgebiet und in den historisch schlechter versorgten ostdeutschen Städten entstehen.
Das Psychotherapeutengesetz: Schlüssel für eine bessere Versorgung
Die Gesundheitssysteme in Frankreich und Deutschland sind unterschiedlich. Es gibt in Frankreich kein Psychotherapeutengesetz und keine vertragspsychotherapeutische Versorgung in dem Umfang, wie sie in Deutschland existiert. Benecke und Metge erläuterten, dass das 1999 in Kraft getretene Psychotherapeutengesetz ein Meilenstein in der psychotherapeutischen Versorgung war, weil der Beruf der Psychotherapeut*in als eigener Heilberuf im Gesundheitswesen und damit auch in der vertragsärztlichen Versorgung verankert wurde. Dass Patient*innen seither direkt eine* Psychotherapeut*in konsultieren und eine Behandlung erhalten, habe den Zugang zur Psychotherapie maßgeblich verbessert. Heute seien Psychotherapeut*innen eine feste und zentrale Säule in der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Knapp 37.500 Vertragspsychotherapeut*innen stellten die psychotherapeutische Versorgung täglich sicher. In der psychotherapeutischen Sprechstunde klärten sie die Beschwerden der Patient*innen ab, stellten den Behandlungsbedarf fest und vermittelten in die geeignete Versorgung.
Zukünftig komme es darauf an, dass die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in alle Versorgungsstrukturen integriert werden – nicht nur aufgrund der hohen Prävalenzen, sondern auch, weil psychische und körperliche Erkrankungen in Wechselbeziehung zueinander stehen. Wenn im Gesundheitswesen die Versorgungsbedürfnisse von Menschen mit psychischen Erkrankungen konsequent mitgedacht und in die Versorgungsangebote integriert würden, könnten Patient*innen ihre Beschwerden schneller abklären lassen und in das für sie passende Versorgungsangebot vermittelt werden. Psychotherapeutische Kompetenz sollte dafür noch stärker als heute genutzt werden. Und: Die Prävention müsse stärker denn je in den Fokus gerückt werden. Jeder Mensch sollte wissen, wie er seine psychische Gesundheit fördern und erhalten kann und wie er psychischen Belastungen entgegenwirken kann. Auch das sei ein Hebel, mit dem der steigende Versorgungsbedarf bei begrenzten Ressourcen gedeckt werden kann.
Veröffentlicht am 17. Dezember 2024